Im Tendenzbetrieb arbeiten: Chancen und Herausforderungen
Bei der Arbeit in einem Tendenzbetrieb kommt es nicht nur darauf an, kompetent zu sein – auch die innere Haltung zählt. In Tendenzunternehmen sind Mitarbeiter gefragt, die die Grundwerte ihres Arbeitgebers teilen. Dabei gelten für die Beschäftigung Sonderregeln, etwa bei der Mitbestimmung und beim Kündigungsschutz. Was Sie zum Thema wissen müssen.

Tendenzbetrieb: Definition und Bedeutung
Ein Tendenzbetrieb ist ein Betrieb, der sich einem bestimmten politischen, weltanschaulichen oder religiösen Zweck verschrieben hat. Das Ziel der Arbeit in einem Tendenzbetrieb besteht darin, bestimmte Ansichten oder Haltungen zu fördern und zu verbreiten. Solche Unternehmen sind insbesondere in der Medienbranche anzufinden, aber auch im Bereich von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder bei kirchlichen Trägern.
Die Arbeit in einem Tendenzbetrieb unterscheidet sich in verschiedener Hinsicht von der in anderen Betrieben. Durch die besondere ideologische oder weltanschauliche Ausrichtung wird von den Mitarbeitern erwartet, dass sie diese Grundwerte teilen und aktiv nach außen vertreten. Praktisch kann das daran abzulesen sein, wie bestimmte Zeitungen berichten, nach welchen Maßstäben NGOs Projekte auswählen oder welche pädagogischen Ansätze in einer Schule gängig sind. Auch die Unternehmensstruktur kann durch die entsprechende Tendenz geprägt sein, was sich durch bestimmte Vorgaben, Mitgliedschaften oder Leitbilder äußern kann.
Auch rechtlich haben Tendenzbetriebe in Deutschland eine besondere Stellung. Diese ergibt sich insbesondere aus § 118 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Demnach gelten die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes für solche Betriebe nicht, soweit die Eigenart des Unternehmens diesen entgegensteht. Dadurch sollten Tendenzbetriebe vor einer zu starken äußeren Einflussnahme geschützt werden. In einem Tendenzbetrieb sind zudem die Rechte des Betriebsrats eingeschränkt.
Tendenzbetrieb: Beispiele für Branchen und Bereiche, in denen Tendenzbetriebe vorkommen
Tendenzbetriebe können in verschiedenen Branchen und Bereichen vorkommen. Typische Beispiele sind Medienhäuser und Verlage, Rundfunkanstalten, kirchliche Einrichtungen, NGOs und Stiftungen, die bestimmten Parteien nahestehen.
Unter den Zeitungen sind es etwa die linksorientierte taz, die rechtskonservative Junge Freiheit oder die populistisch geprägte BILD-Zeitung, die zu den Tendenzbetrieben gehören. Bekannte tendenzgeprägte Stiftungen sind die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung.
Caritas und Diakonie sind kirchliche Wohlfahrtsorganisationen der katholischen beziehungsweise evangelischen Kirche, die in ihrer Arbeit klar religiös ausgerichtet sind. Es gibt außerdem kirchliche Schulen und Kindergärten, aber auch politisch geprägte Bildungseinrichtungen.
NGOs sind durch ihre klare politische, gesellschaftliche oder ideologische Ausrichtung häufig den Tendenzbetrieben zuzuordnen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Der WWF ist ebenso ein Tendenzbetrieb wie Amnesty International, Sea Shepherd oder PETA. Auch Forschungseinrichtungen können tendenziös sein, wie beispielsweise beim Institut für Weltwirtschaft oder beim Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung.
Sonderregelungen für Tendenzbetriebe im Arbeitsrecht
Tendenzbetriebe sind kein Arbeitgeber wie jeder andere: Durch § 118 BetrVG genießen sie eine Sonderstellung im Arbeitsrecht. Um ihre besondere weltanschauliche, ideologische oder religiöse Ausrichtung zu schützen, gelten für sie Regelungen, die sich von den gesetzlichen Vorgaben für andere Unternehmen unterscheiden.
Ein wichtiger Aspekt ist die eingeschränkte Mitbestimmung in einem Tendenzbetriebdurch den Betriebsrat. Die Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes, an die sich Unternehmen diesbezüglich sonst halten müssen, gelten für Tendenzunternehmen nur eingeschränkt, wenn es um Vorgänge geht, die die spezifische Ausrichtung des jeweiligen Betriebs betreffen. So kann zum Beispiel das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei personellen Entscheidungen entfallen, wenn die Entscheidung mit dieser Ausrichtung zu tun hat.
Eine Tierschutzorganisation könnte zum Beispiel den Bewerber bevorzugen, der sich vegan ernährt. Eine katholische Kita könnte die Bewerberin nehmen, die besonders christlich geprägt ist. Oder eine Zeitung mit besonderer politischer Ausrichtung könnte einem Redakteur kündigen, der aus ihrer Sicht die falschen Werte vertritt – Werte, die mit der Linie des Blatts nicht im Einklang stehen. Betriebsräte in Tendenzbetrieben haben darüber hinaus weniger Rechte, wenn es um grundlegende Entscheidungen und Ausrichtungen im Unternehmen geht.
Durch den Arbeitsvertrag zur Loyalität verpflichtet
Auch der Kündigungsschutz kann durch die Sonderrechte von Tendenzbetrieben verändert werden – wie im genannten Beispiel des Redakteurs mit unerwünschten politischen Ansichten. Die Erfolgsaussichten von Kündigungsschutzklagen können in solchen Fällen schlechter sein, als es außerhalb eines Tendenzunternehmens der Fall wäre.
Tendenzbetriebe können zwar wie andere Betriebe auch tarifgebunden sein. Dann haben die Mitarbeiter zunächst einmal dieselben tariflichen Ansprüche wie es in anderen Betrieben im Geltungsbereich der Fall ist. Auch hier gibt es jedoch eine Einschränkung: Tarifverträge dürfen die besondere Ausrichtung des Unternehmens nicht berühren.
Die Tendenz eines Betriebs hat zudem Einfluss auf die Ausgestaltung von Arbeitsverträgen und Arbeitsbedingungen. Häufig achten Tendenzbetriebe bei der Einstellung neuer Mitarbeiter darauf, dass diese bestimmte Grundwerte teilen. Loyalitätsklauseln können Beschäftigte sogar arbeitsvertraglich dazu verpflichten, die Werte des Unternehmens zu unterstützen. Es kann auch Verhaltensrichtlinien geben, die sich mitunter nicht nur auf den unmittelbaren Arbeitsalltag, sondern auch auf Nebenjobs oder den privaten Bereich erstrecken können.
Was ist anders bei der Arbeit in einem Tendenzbetrieb?
Die Mitarbeit in einem Tendenzbetrieb ist etwas Besonderes: Wer in einem Tendenzunternehmen beschäftigt ist, dessen Arbeit ist durch die Ausrichtung seines Arbeitgebers geprägt. Die Tendenz des Betriebs wirkt sich oft unmittelbar auf Prozesse, Entscheidungen und die Erwartungen an Arbeitskräfte aus.
So wird von Mitarbeitern in Tendenzbetrieben meist verlangt, dass diese die Werte des Unternehmens aktiv unterstützen und sich für deren Ziele einsetzen. Wer das nicht tut, gefährdet möglicherweise seinen Job: Sein Arbeitgeber kann sich von ihm trennen, wenn er gegen die ideologischen, religiösen oder politischen Grundwerte des Unternehmens verstößt. Dabei kann auch das Verhalten außerhalb der Arbeit eine Rolle spielen.
Damit ist die Meinungsfreiheit in einem Tendenzbetrieb ein Stück weit eingeschränkt. Bei der Mitarbeit in einer Tageszeitung mit bestimmten politischen Ansichten kann das beispielsweise bedeuten, dass es eine redaktionelle Linie gibt, die grundsätzlich eingehalten werden muss. NGOs können von ihren Mitarbeitern erwarten, dass diese auch in ihrer Freizeit für die Zwecke der Organisation engagiert sind, etwa durch die Teilnahme an Kampagnen oder Demonstrationen. Oder eine religiös geprägte Schule könnte von ihren Lehrkräften erwarten, dass diese die konfessionellen Werte auch privat glaubwürdig vertreten.
Mitarbeit im Tendenzbetrieb: Vorteile und Herausforderungen
In einem Tendenzbetrieb zu arbeiten, kann Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen. Hier erfahren Sie, was für und was gegen die Mitarbeit in einem solchen Unternehmen oder einer derartigen Organisation sprechen kann.
Mögliche Vorteile der Arbeit in einem Tendenzbetrieb
- Es kann bereichernd, erfüllend und sinnstiftend sein, in einem Tendenzunternehmen zu arbeiten. Man setzt sich für einen Arbeitgeber ein, der die eigenen Ziele teilt – das kann für eine hohe Zufriedenheit im Job sorgen.
- Auch die Motivation der Beschäftigten ist unter solchen Umständen häufig erhöht, was ein höheres Engagement zur Folge hat, von dem auch der Arbeitgeber profitiert.
- Der Zusammenhalt im Team kann besonders eng sein: Gemeinsame Werte verbinden und sorgen für ein Wirgefühl.
- Die starke Identifikation mit dem Arbeitgeber, die bei Mitarbeitern in einem Tendenzbetrieb gegeben sein kann, führt zu einer hohen Mitarbeiterbindung und einer geringen Fluktuation.
Herausforderungen, die die Mitarbeit in Tendenzunternehmen mit sich bringen kann
- Durch die Sonderstellung von Tendenzunternehmen können die Rechte der Beschäftigten eingeschränkt sein. Das kann nicht zuletzt im Fall einer Kündigung zum Problem für Arbeitskräfte werden.
- Der Arbeitgeber erwartet womöglich eine hohe Loyalität, die nicht jeder Beschäftigte tatsächlich empfindet – manche Mitarbeiter sind eben nicht in diesem Betrieb, weil ihnen dessen Werte so wichtig sind.
- Die Meinungsfreiheit und die Freiheit der persönlichen Entfaltung können in einem Tendenzbetrieb eingeschränkt sein.
- Gerade in NGOs wird häufig von Mitarbeitern erwartet, dass sie sich auch in ihrer Freizeit für den Arbeitgeber engagieren – zum Beispiel durch die Teilnahme an Demos oder anderen Veranstaltungen. Das kann zulasten der Work-Life-Balance gehen.
- Wer den Job wechseln möchte, hat es womöglich schwerer: Die Karrierechancen sind bei einem Branchenwechsel häufig eingeschränkt.
Im Tendenzbetrieb arbeiten: Tipps für Bewerber und Beschäftigte
Wer in einem Tendenzbetrieb arbeitet oder darüber nachdenkt, sollte die besonderen Spielregeln beachten, die für die Mitarbeit in einem solchen Unternehmen gelten. Hier finden Sie Tipps, die sich an Bewerber und Mitarbeiter von Tendenzbetrieben richten.
Tipps für Bewerber
Als Bewerber sollte Ihnen klar sein, wo Sie sich bewerben: Informieren Sie sich umfassend über das Unternehmen, für das Sie sich interessieren, wenn Sie mit dessen Zielen und Tätigkeiten noch nicht im Detail vertraut sind. Welche Werte verkörpert das betreffende Tendenzunternehmen? Wofür steht es? Leitbilder, Satzungen, aber auch Veröffentlichungen können diesbezüglich aufschlussreich sein.
Wenn Sie daran Zweifel haben, dass dieser Betrieb wirklich zu Ihnen passt, sollten Sie gut überlegen, ob Sie sich dort bewerben möchten. Es ist etwas anderes, sich hin und wieder mit bestimmten Themen zu beschäftigen, als das jeden Tag im Detail tun zu müssen. Machen Sie sich auch Gedanken darüber, ob Sie bereit sind, einen Teil Ihrer Freizeit zu opfern, zum Beispiel für die Teilnahme an Kampagnen, falls das beim gewählten Tendenzbetrieb relevant ist.
Wenn Sie sich bei einem Tendenzunternehmen bewerben, sollten Sie möglichst schon in Ihren Bewerbungsunterlagen deutlich machen, inwieweit Ihnen dessen Grundwerte wichtig sind. Sie können im Anschreiben etwas dazu schreiben oder Ihre Werte indirekt im Lebenslauf verdeutlichen, etwa durch die Angabe eines Ehrenamts in einem ähnlichen Bereich.
Stellen Sie sich darauf ein, dass die Verantwortlichen im Vorstellungsgespräch genauer hinschauen und sich danach erkundigen, ob Sie deren Werte wirklich teilen. Wenn Sie zeigen können, dass Sie das tun, können Sie Ihre Chancen verbessern. Aber Achtung: Verstellen Sie sich nicht, übertreiben Sie nicht – das könnte später auffallen und Ihnen zum Verhängnis werden. Authentizität ist entscheidend.
Tipps für Beschäftigte
Sie arbeiten bereits in einem Tendenzbetrieb? Dann ist es wichtig, Ihre Pflichten, aber auch Ihre Rechte zu kennen. Lesen Sie sich dazu Ihren Arbeitsvertrag genau durch: Wozu sind Sie vertraglich verpflichtet? Auch arbeitsrechtliche Regelungen sind aufschlussreich. In der Praxis kommt es auch darauf an, was in dem Unternehmen oder der Organisation üblich ist. Sie sind womöglich nicht zu allem rechtlich verpflichtet, könnten aber negativ auffallen, wenn Sie sich nicht an die üblichen Verhaltensweisen halten.
Loyalität ist bei der Mitarbeit in einem Tendenzbetrieb wichtig, das heißt aber nicht, dass Sie sich verleugnen oder Ihre eigene Meinung komplett unter den Tisch fallen lassen sollten. Bringen Sie Ihre Vorstellungen ruhig ein – mit Augenmaß natürlich. Wenn Sie die grundsätzliche Ausrichtung des Unternehmens allerdings in keinem Fall teilen, könnte es besser sein, sich nach einem anderen Job umzusehen.
Die Grenzen zwischen der beruflichen und der privaten Rolle sind bei der Mitarbeit in einem Tendenzunternehmen nicht so klar wie bei einem anderen Arbeitgeber. Was Sie in Ihrer Freizeit tun oder sagen, kann einen Einfluss auf Ihre Stellung im Betrieb haben. Seien Sie deshalb vorsichtig mit Dingen, die nicht im Einklang mit den Werten Ihres Arbeitgebers stehen. Posten Sie nichts in sozialen Netzwerken, was dem entgegensteht, und lassen Sie sich nicht bei Aktivitäten „erwischen“, die an Ihrer Loyalität Zweifel aufkommen lassen.
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