Präsentismus: Krank zur Arbeit & die Folgen

Krank zur Arbeit? Während viele Arbeitnehmer eine Krankschreibung vom Arzt dankbar annehmen, schleppen sich andere trotzdem ins Büro oder den Betrieb. Dieses Phänomen ist auch als Präsentismus bekannt. Was oft gut gemeint ist, kann unerwünschte negative Folgen haben. Hier erfahren Sie, was Präsentismus ist, welche Ursachen er haben kann und was Sie tun können, wenn Sie selbst davon betroffen sind.

Ein Mann sitzt aufgrund von Präsentismus krank auf der Arbeit

Präsentismus Definition: Was ist Präsentismus?

Um zu verstehen, was mit Präsentismus gemeint ist, müssen wir zunächst einen anderen Begriff erläutern: den des Absentismus. Absentismus ist per Definition dann gegeben, wenn ein Arbeitnehmer seinen Verpflichtungen im Job nicht nachkommt und an der Arbeit fehlt. Der Begriff Absentismus wird oft mit Fehlzeiten gleichgesetzt, die sich aus freiwilliger oder unfreiwilliger Abwesenheit der Beschäftigten ergeben können.

Präsentismus ist das Gegenteil von Absentismus. Der Begriff wurde vom US-amerikanischen Arbeitswissenschaftler Auren Uris im Jahr 1955 geprägt. Uris hatte untersucht, wie man die Anwesenheit von Arbeitnehmern im Job verbessern und so Kosten sparen kann. Ihm ging es darum, Absentismus zu senken und den Präsentismus zu verbessern.

Heute wird Präsentismus recht eng definiert: Gemeint ist, dass jemand zur Arbeit geht, obwohl er krank ist. Er hat entweder eine Krankschreibung vom Arzt oder könnte sich eine holen, möchte dies aber aus bestimmten Gründen nicht. Manche Definitionen von Präsentismus in der Wissenschaft fassen auch andere Phänomene darunter – etwa, wenn jemand Überstunden macht, obwohl dies gar nicht nötig wäre, oder wenn jemand anwesend ist, ohne seine üblichen Aufgaben im gewohnten Umfang zu erfüllen.

Krank zur Arbeit? Für viele Arbeitnehmer ganz normal

Wer krank ist, ist häufig auch arbeitsunfähig. Trotzdem lassen sich viele Arbeitnehmer nicht krankschreiben oder ignorieren eine Krankschreibung und gehen weiter zur Arbeit. Das Ausmaß von Präsentismus zeigen Studien immer wieder, etwa der Fehlzeiten-Report der Krankenkasse AOK für das Jahr 2021. Fast jeder siebte Befragte (13,2 Prozent) – befragt wurden ausschließlich AOK-Mitglieder – war demnach krank zur Arbeit gegangen, obwohl ihm ein Arzt davon abgeraten hatte. Besonders von Präsentismus betroffen war einer anderen AOK-Befragung zufolge die Pflegebranche, wo mehr als jeder Dritte (36 Prozent) angab, krank zur Arbeit zu gehen.

Eine Befragung des Statistischen Bundesamts und YouGov hat im Jahr 2017 herausgefunden, dass 73 Prozent der Deutschen häufig oder sogar immer mit einer Erkältung zur Arbeit gehen, 35 Prozent selbst mit einer Grippe, Fieber oder Ähnlichem. Dazu passt eine Präsentismus-Studie der Techniker Krankenkasse: Dabei gaben 51 Prozent der Befragten an, manchmal, häufig oder sehr häufig krank zur Arbeit zu gehen. Bei Frauen war der Präsentismus stärker ausgeprägt als bei Männern.

Präsentismus ist kein Problem, von dem nur Deutschland betroffen ist. In vielen anderen Ländern ist die Lage ähnlich, wobei es stark von der vorherrschenden Mentalität in der Gesellschaft abhängt, ob Beschäftigte regelmäßig krank zur Arbeit gehen.

Präsentismus in anderen Ländern

Besonders stark von Präsentismus betroffen sind asiatische Länder. Hier ist die Arbeitsmoral oft hoch; viele Beschäftigte definieren sich stark über den Job und haben lange Arbeitstage. Überstunden sind oft ganz normal, und auch am Wochenende wird häufig gearbeitet. In Japan gibt es sogar einen Begriff für Todesfälle durch Überarbeitung: Karoshi. Da verwundert es nicht, dass die Fehlzeiten dort besonders gering sind. Wie hoch der Druck in vielen asiatischen Ländern ist, zeigt auch der Begriff „996“. Gemeint ist die Arbeitswoche in China, die für viele Menschen um 9 Uhr morgens beginnt, um 9 Uhr abends endet und sich über sechs Tage in der Woche erstreckt.

Hoch ist der Druck auch auf viele Arbeitnehmer in den USA. Dort haben die Beschäftigten meist nur wenige Urlaubstage. Selbst nach der Geburt eines Kindes müssen Arbeitnehmer rasch weitermachen, denn so etwas wie Elternzeit gibt es dort nicht. In vielen Jobs sind Überstunden ganz normal.

Weniger stressig ist die Situation für Arbeitnehmer dagegen in Ländern wie Dänemark oder Schweden. Hier definieren sich die Menschen oft wesentlich geringer über ihre Arbeit, legen dafür aber mehr Wert auf eine gute Work-Life-Balance. Überstunden sind oft nicht erwünscht, und in Dänemark können Arbeitnehmer nach Hause gehen, wenn sie für den Tag fertig sind, statt die verbliebene Arbeitszeit aus Prinzip absitzen zu müssen. Es ist wohl kein Zufall, dass die Menschen dort im Schnitt zufriedener sind als in anderen Ländern. Das zeigen Umfragen wie der World Happiness Report immer wieder.

Warum viele Arbeitnehmer krank zur Arbeit gehen

Wenn Arbeitnehmer sich krank zur Arbeit schleppen statt zuhause zu bleiben, kann das viele Gründe haben. Eine Rolle spielt häufig das Verhalten von Kollegen: Wenn es in der Firma so üblich ist, dass man auch krank am Arbeitsplatz erscheint, steigt die Hemmschwelle für Betroffene, im Krankheitsfall zuhause zu bleiben.

Oft übt auch der Arbeitgeber Druck auf die Mitarbeiter aus – direkt oder indirekt. So müssen sich manche Beschäftigte abfällige Kommentare vom Vorgesetzten anhören, wenn sie sich krankmelden. Weit verbreitet sind auch Prämien fürs nicht Krankwerden. Solche Prämien werden dann an die Mitarbeiter ausgezahlt, die gar nicht oder nur sehr selten gefehlt haben. Besonders in Niedriglohnbereichen, wo die Mitarbeiter auf solche Extrazahlungen oft angewiesen sind, kann das Beschäftigte unter Druck setzen.

Eine Rolle spielt häufig auch die Arbeit an sich. Wer im Stress ist und viel zu tun hat, sorgt sich wahrscheinlich über einen riesigen Stapel an unerledigten Aufgaben, wenn er nach einem krankheitsbedingten Fehlen zurück ins Büro kommt. Auch bevorstehende wichtige Termine können dafür sorgen, dass man lieber arbeitet statt sich zuhause auszukurieren.

Präsentismus kann mit Angst vor einer Kündigung zusammenhängen

Eine dünne Personaldecke kann Mitarbeiter ebenfalls unter Druck setzen. In vielen Schichtbetrieben sorgt ein personeller Ausfall für Chaos, etwa im Einzelhandel oder in Restaurants. Trotz Krankheit zur Arbeit zu kommen kann dann damit zusammenhängen, dass man die Kollegen nicht übermäßig belasten möchte. Das Gefühl, dass es ohne einen nicht geht, haben auch viele andere Arbeitnehmer, besonders Führungskräfte.

Manche Arbeitnehmer gehen krank zur Arbeit, weil sie ihren Job lieben und schlicht keine Lust haben, krankheitsbedingt aussetzen zu müssen. Andere haben Angst, durch ein Fehlen negativ aufzufallen. Besonders, wenn der Job ohnehin auf der Kippe steht, möchten sich viele Beschäftigte keine Fehltage leisten. Das gilt auch für Arbeitnehmer, die zuletzt häufig gefehlt haben, etwa wegen psychischer Probleme oder körperlicher Dauerbeschwerden.

Darf man krank überhaupt zur Arbeit gehen?

Wer krank zur Arbeit kommt, entscheidet das in der Regel selbst. Er kommt also ins Büro oder den Betrieb, ohne den Arbeitgeber vorher zu fragen, ob das in dessen Sinne ist. Deshalb stellt sich noch eine andere Frage, wenn es um Präsentismus geht: Darf man überhaupt trotz Krankheit arbeiten?

Grundsätzlich schon, selbst wenn Sie vom Arzt krankgeschrieben sind. Eine Krankschreibung ist nicht als Arbeitsverbot zu verstehen. Wenn Sie sich fit genug für die Arbeit fühlen, dürfen Sie auch arbeiten. Eine „Gesundschreibung“ braucht es dafür nicht, und auch um Ihren Versicherungsschutz brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Allerdings hat der Arbeitgeber gegenüber seinen Mitarbeitern eine Fürsorgepflicht und muss sicherstellen, dass die Arbeit für sie sicher ist. Deshalb darf er einen erkrankten Mitarbeiter im Zweifelsfall nach Hause schicken – zum Beispiel, damit dieser mit seiner Erkältung keine Kollegen ansteckt oder weil es ihm offensichtlich so schlecht geht, dass er ins Bett gehört.

Diese Folgen kann Präsentismus haben

Wer krank zur Arbeit geht, meint es meist gut – er möchte dem Arbeitgeber sein Engagement beweisen oder den Kollegen keine Extra-Arbeit aufbürden. Wirklich positiv ist es aber weder für Betroffene noch für ihre Kollegen oder den Arbeitgeber, wenn sie krank zur Arbeit kommen.

Die Betroffenen selbst sind womöglich länger krank, wenn sie weiterarbeiten statt sich zuhause zu erholen. Wenn der Präsentismus nicht wirklich freiwillig geschieht, sondern die erkrankten Mitarbeiter einen so hohen Druck empfinden, dass es für sie außer Frage steht, zuhause zu bleiben, kann das für zusätzlichen Stress sorgen. Das ist nachteilig für die Genesung und kann die Probleme verfestigen. Auch psychosomatische Leiden und psychische Erkrankungen können dann die Folge von Präsentismus sein. Im Job selbst machen kranke Mitarbeiter oft mehr Fehler und liefern schlechtere Ergebnisse, was negativ auf sie zurückfallen kann, wenn der Arbeitgeber gar nichts von ihrer Erkrankung weiß.

Für die Kollegen von erkrankten Arbeitnehmern besteht zumindest bei Infektionskrankheiten die Gefahr, sich anzustecken und selbst krank zu werden. Außerdem kann ihre Sicherheit am Arbeitsplatz in bestimmten Berufen gefährdet sein: Weil kranke Mitarbeiter eher Fehler machen, ist die Wahrscheinlichkeit von Arbeitsunfällen erhöht.

Auch für Arbeitgeber ist Präsentismus kein Grund zur Freude. Zwar lassen sich Fehlzeiten damit verringern, was auf dem Papier gut aussieht. Präsentismus kann jedoch für Unternehmen zu einem echten Problem werden. Kranke Mitarbeiter stecken womöglich andere an, wodurch sich mehr Mitarbeiter krankmelden oder aber ihre Leistung sinkt. Das ist mit Produktivitätseinbußen verbunden. Außerdem hat Präsentismus oft einen hohen Preis: Die Betroffenen gehen krank zur Arbeit, verschleppen damit aber ihre Erkrankung und fehlen in der Zukunft noch länger.

Präsentismus bekämpfen: Tipps für Betroffene

Gehören Sie zu den Menschen, die sich nur krankmelden, wenn es wirklich gar nicht mehr geht? Dann ist es höchste Zeit, Ihre Einstellung zur Arbeit zu überdenken, weil Sie mit Ihrem Verhalten Ihrer Gesundheit schaden. Es ist zwar oft schwer, solche Verhaltensmuster zu durchbrechen, aber nicht unmöglich.

Fragen Sie sich, woher der Drang kommt, krank zur Arbeit zu gehen. Wovor haben Sie Angst, worüber machen Sie sich Sorgen? Wie wahrscheinlich ist es, dass die befürchteten negativen Konsequenzen Ihrer Abwesenheit tatsächlich eintreten? Und wer hat wirklich etwas davon, wenn Sie sich krank ins Büro oder den Betrieb schleppen?

Gedanken machen sollten Sie sich auch über Ihre Prioritäten. Ist Ihnen die Arbeit wirklich wichtiger als Ihr Wohlbefinden? Vielen ist gar nicht bewusst, wie sehr sie sich selbst mit Präsentismus kurz- und langfristig schaden können. Für sich selbst zu sorgen heißt auch, zuhause zu bleiben, wenn Sie zu krank zum Arbeiten sind. Nehmen Sie sich und Ihre Gesundheit wichtig genug, um sich ohne schlechtes Gewissen krankschreiben zu lassen und dann auch tatsächlich für die Dauer der Krankschreibung nicht zu arbeiten.

Gefragt sind auch die Unternehmen selbst, kritisch zu hinterfragen, warum Mitarbeiter trotz Krankheit bei der Arbeit erscheinen. Herrscht in der Firma ein hoher Druck? Sind Krankmeldungen nicht gerne gesehen und wird das auch direkt oder unterschwellig so kommuniziert? Arbeitgeber sollten sich bewusst machen, dass Präsentismus ihnen nichts nützt, sondern ihnen im Gegenteil schaden kann.

Wenn die Mitarbeiter hingegen das Gefühl haben, dass sie im Krankheitsfall zuhause bleiben können, ohne dass es ihnen negativ ausgelegt wird, werden sie schneller wieder gesund. Sie haben dann grundsätzlich weniger Stress, sind womöglich leistungsfähiger und zufriedener. Das wiederum sorgt für eine höhere Produktivität insgesamt. Auch für Arbeitgeber spricht also vieles dafür, die Gesundheit ihrer Beschäftigten ernst zu nehmen.

Bildnachweis: RomarioIen / Shutterstock.com

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