Kündigung wegen Sozialauswahl: Kriterien zur Selektion von Arbeitgebern
Wenn ein Arbeitgeber Mitarbeitern betriebsbedingt kündigen möchte, muss er eine Sozialauswahl vornehmen. Das Ergebnis bestimmt darüber, wem am ehesten gekündigt werden kann. Wie funktioniert eine Sozialauswahl? Welche Faktoren werden zur Entscheidungsfindung herangezogen? Wer hat bei einer Sozialauswahl die besten Aussichten – und wer die schlechtesten? Hier erfahren Sie alles, was Sie zum Thema wissen müssen.
Sozialauswahl: Was ist das und wann ist sie nötig?
Will ein Arbeitgeber Mitarbeitern kündigen, sind dafür drei Gründe nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) denkbar: Es kann sich um eine verhaltensbedingte, personenbedingte oder betriebsbedingte Kündigung handeln. In letzterem Fall ist der Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine Sozialauswahl vor der Kündigung vorzunehmen. Dabei werden soziale Gesichtspunkte zur Entscheidung herangezogen, wem gekündigt wird und wer seine Stelle behält. Es werden die Arbeitnehmer ermittelt, die am wenigsten schutzwürdig sind und denen deshalb am ehesten gekündigt werden kann. Der Arbeitgeber ist somit nicht frei in seiner Entscheidung, von welchen Beschäftigten er sich trennt.
Die Pflicht zu einer Sozialauswahl vor einer betriebsbedingten Kündigung besteht grundsätzlich dort, wo der Kündigungsschutz nach dem KSchG gilt. Ausgenommen sind demnach lediglich Kleinbetriebe mit zehn oder weniger Mitarbeitern. Nicht nötig ist eine Sozialauswahl, wenn allen Mitarbeitern gekündigt wird, weil der Betrieb stillgelegt wird. Geschieht das in mehreren Etappen, ist eine Sozialauswahl jedoch wieder verpflichtend.
Wenn es zu betriebsbedingten Kündigungen im Rahmen von geplanten Betriebsänderungen kommt, geht das in der Regel mit einem Sozialplan einher. Nach den Regelungen von § 112 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) handelt es sich dabei um eine schriftliche Übereinkunft von Arbeitgeber und Betriebsrat. Der Zweck eines Sozialplans besteht darin, Nachteile für Beschäftigte im Rahmen der Betriebsänderung auszugleichen oder abzumildern. So können etwa im Sozialplan Kriterien aufgestellt werden, welche Beschäftigten eine Abfindung für ihre Kündigung erhalten können.
Wie funktioniert eine Sozialauswahl?
Wie läuft eine Sozialauswahl konkret ab? Sie erfolgt in mehreren Schritten. Damit sie vorgenommen werden kann, muss klar sein, welche Arbeitnehmer dabei miteinander verglichen werden sollen. Es wird also eine Vorauswahl vorgenommen, die der Arbeitgeber jedoch nicht nach Gutdünken festlegen kann – mehr dazu erfahren Sie weiter unten im Text.
Für die Sozialauswahl dürfen Altersgruppen gebildet werden. Anschließend werden die verschiedenen Mitarbeiter individuell beurteilt und die Sozialauswahl-Kriterien auf sie angewendet. So kristallisiert sich heraus, welche Beschäftigten besonders schutzwürdig sind und welche am wenigsten schutzbedürftig. Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, die Sozialauswahl-Kriterien zu berücksichtigen und seine Überlegungen und Entscheidungen zu dokumentieren.
Der Betriebsrat, sofern vorhanden, ist bei einer Sozialauswahl beteiligt. Bei betriebsbedingten Kündigungen und der zugehörigen Sozialauswahl darf er mitbestimmen. Das heißt zum Beispiel, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat informieren muss, wenn er betriebsbedingte Kündigungen plant. Er muss das Gremium anhören, bevor er einem Mitarbeiter aus betriebsbedingten Gründen kündigt.
Der Betriebsrat kann in diesem Rahmen eine Stellungnahme zur Entscheidung des Arbeitgebers abgeben. Insofern hat er Einfluss darauf, welchem Mitarbeiter letztendlich gekündigt wird und welcher seinen Job behalten kann. Dieses Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats soll sicherstellen, dass die Sozialauswahl ordnungsgemäß und fair abläuft. Wenn der Betriebsrat einer betriebsbedingten Kündigung nicht zustimmt, weil er sie für unzulässig hält, kann er rechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber einleiten.
Kriterien bei der Sozialauswahl und wie sie gewichtet werden
Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss die Sozialauswahl nach bestimmten Kriterien erfolgen. Arbeitgeber dürfen dabei nicht willkürlich ihre eigenen Kriterien aufstellen, sondern sind an die Regelungen in § 1 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz gebunden. Das soll verhindern, dass Arbeitgeber sich von Mitarbeitern trennen, die am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen haben und die die Kündigung härter treffen würde. Es wäre ansonsten gut vorstellbar, dass viele Firmen junge, dynamische Mitarbeiter behalten würden, die sie womöglich für leistungsfähiger halten als ältere Beschäftigte.
Nach § 1 Absatz 3 KSchG sind folgende Sozialauswahl-Punkte zu berücksichtigen:
- das Alter eines Beschäftigten
- die familiäre Situation: bestehen Unterhaltspflichten, etwa gegenüber dem Ehepartner, Kindern oder auch den Eltern oder Enkeln?
- die Dauer der Betriebszugehörigkeit
- eine mögliche Schwerbehinderung gemäß § 2 Absatz 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)
Der Arbeitgeber darf weitere Sozialauswahl-Kriterien einbeziehen. Die oben genannten vier Aspekte sind jedoch nicht verhandelbar und dürfen nicht ausgeblendet werden. Der Gesetzgeber gibt dabei zwar vor, welche Kriterien berücksichtigt werden müssen, aber nicht, wie dies konkret zu erfolgen hat. Das gibt Arbeitgebern einen gewissen Spielraum, wobei alle Aspekte ausreichend berücksichtigt werden müssen. Im Idealfall sind alle Faktoren gleichwertig.
Kündigung: Sozialauswahl nach Punktesystem
Es ist sinnvoll, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat bei einer Sozialauswahl eine Betriebsvereinbarung nach § 95 Betriebsverfassungsgesetz schließt. Darin sollte die Gewichtung der unterschiedlichen Kriterien festgelegt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil im Jahr 2007 klargestellt, welche Gewichtung der verschiedenen Kriterien er bei einer Sozialauswahl für angemessen hält. Daraus ergibt sich für die Sozialauswahl ein Punktesystem, das den folgenden Maßgaben entspricht:
- Alter des Beschäftigten: 1 Punkt pro Lebensjahr
- Dauer der Betriebszugehörigkeit: 1 Punkt pro Jahr
- Unterhaltspflichten gegenüber einem Ehepartner: 4 Punkte
- Vorhandensein von unterhaltsberechtigten Kindern: 2 Punkte pro Kind
Es gibt jedoch kein allgemeingültiges Punktesystem, dem Arbeitgeber zwingend folgen müssten. Allerdings muss der Arbeitgeber sein Konzept rechtfertigen können, falls es zu einem juristischen Prozess kommt.
Müssen zwingend alle Mitarbeiter bei der Sozialauswahl berücksichtigt werden?
Grundsätzlich muss ein Arbeitgeber alle Mitarbeiter bei einer Sozialauswahl berücksichtigen und entsprechend der jeweiligen Sozialauswahl-Kriterien beurteilen. Allerdings gibt es für manche Beschäftigten Ausnahmen. Nicht berücksichtigt wird zum Beispiel, wer keinen Kündigungsschutz hat. Das betrifft insbesondere Mitarbeiter, die sich noch in der Probezeit befinden. Ihnen kann der Arbeitgeber direkt kündigen, ohne dass er dies begründen müsste.
Bei einer Sozialauswahl werden außerdem Arbeitnehmer ausgeklammert, die Sonderkündigungsschutz haben und denen deshalb ordentlich nicht gekündigt werden kann. Das betrifft etwa Mitarbeiterinnen im Mutterschutz, Mitglieder des Betriebsrats und Beschäftigte mit Schwerbehinderung. Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung dürfen bei einer Sozialauswahl nur beurteilt werden, wenn das zuständige Integrationsamt dem zustimmt.
Der Arbeitgeber darf Beschäftigte bei einer Sozialauswahl ausklammern, an deren Weiterbeschäftigung er ein berechtigtes betriebliches Interesse hat. Das kann zum Beispiel mit bestimmten Fähigkeiten, Kompetenzen, Kenntnissen und Leistungen zusammenhängen. Falls es zu einem Gerichtsprozess käme, müsste der Arbeitgeber entsprechende Entscheidungen allerdings plausibel begründen können.
Sozialauswahl: Wer hat die besten Karten, wem wird am ehesten gekündigt?
Bei einer Sozialauswahl werden Beschäftigte mit vergleichbaren Jobs miteinander verglichen, und zwar anhand der vom Arbeitgeber festgelegten Sozialauswahl-Punkte. Gekündigt wird am Ende den Personen, die anhand der Ergebnisse der Sozialauswahl als am wenigsten schutzbedürftig gelten. Das trifft am ehesten Beschäftigte, die erst seit kurzer Zeit in der Firma arbeiten und noch in der Probezeit sind. Sie werden gar nicht erst in der Sozialauswahl berücksichtigt, denn sie genießen noch keinen Kündigungsschutz.
Am ehesten trifft eine betriebsbedingte Kündigung aufgrund der Kriterien einer Sozialauswahl Arbeitnehmer, die kürzer im Betrieb arbeiten als andere. Jüngere Mitarbeiter haben schlechtere Chancen als ältere Beschäftigte, und Arbeitnehmer mit einer Familie und entsprechenden Unterhaltspflichten sind besser vor einer betriebsbedingten Kündigung geschützt als solche, die keine Familie haben. Eine Schwerbehinderung stellt einen gewissen Schutz vor einer betriebsbedingten Kündigung dar, wobei eine Kündigung nach der Sozialauswahl nicht ausgeschlossen ist.
Die Ergebnisse der Sozialauswahl reflektieren einerseits die soziale Situation der Beschäftigten. Andererseits spiegeln sie wider, wie gut die Chancen der betreffenden Personen am Arbeitsmarkt sind beziehungsweise wären. Das bedeutet, dass ältere Arbeitnehmer mit Familie, die schon lange in der Firma tätig sind, am besten vor einer betriebsbedingten Kündigung geschützt sind. Auch jüngere Beschäftigte, die ihren Job schon länger ausüben und die kleine Kinder haben, haben bei einer Sozialauswahl vergleichsweise gute Aussichten.
Unzulässige Kündigung nach Sozialauswahl? An wen Sie sich wenden können
Nicht immer geht alles bei einer Sozialauswahl alles mit rechten Dingen zu. Nicht jeder Arbeitgeber hält sich an die gesetzlichen Vorgaben und entscheidet sozial gerecht, wen er weiterbeschäftigt und wem er eine betriebsbedingte Kündigung überreicht. Was kann man tun, wenn einem gekündigt wurde und man Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Kündigung nach Sozialauswahl hat?
In diesem Fall ist der Betriebsrat ein Ansprechpartner. Er ist bei betriebsbedingten Kündigungen ohnehin eingebunden und kann Sie beraten und unterstützen. Falls Sie juristische Schritte gegen Ihre Kündigung in Erwägung ziehen, ist es sinnvoll, sich frühzeitig an eine Fachanwalt für Arbeitsrecht zu wenden. Ein Anwalt oder eine Anwältin kann Sie beraten und abschätzen, wie groß Ihre Erfolgsaussichten sind.
Falls es vielversprechend ist, können Sie gerichtliche Schritte gegen den Arbeitgeber gehen. Bekommen Sie vor Gericht Recht, ist die Kündigung aufgehoben. Das Ziel einer Kündigungsschutzklage kann jedoch auch sein, eine Abfindung (oder eine höhere Abfindung) mit dem Arbeitgeber auszuhandeln. Im Gegenzug akzeptieren Sie die Kündigung.
Bildnachweis: ZoFot / Shutterstock.com