Toxic Positivity: Wenn zu viel Positivität schadet
Zu viel Optimismus, zu viel positives Denken – gibt es das überhaupt? Wenn eine Toxic Positivity entstanden ist, lautet die Antwort eindeutig: Ja, das gibt es. Ein Übermaß an Positivität kann negative Folgen für Einzelne und Teams haben. Hier erfahren Sie, wie Sie entsprechende Neigungen erkennen und bekämpfen können.

Toxic Positivity – was ist das?
Positivity bedeutet auf Deutsch so viel wie Positivität oder positive Einstellung. Was erst mal gut klingt, kann jedoch auch Züge annehmen, die mehr schaden als nützen. Bei einer Toxic Positivity, also einer toxischen Positivität, ist das der Fall. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine übertrieben positive Einstellung, die fast schon zwanghaft ist. Negative Gefühle oder Denkmuster werden dabei einfach verdrängt oder ignoriert, weil sie vermeintlich keine Berechtigung haben. Sorgen und Emotionen werden häufig nicht ernst genommen.
Dabei gibt es durchaus ein gesundes Maß an Positivität: Wenn Menschen die Dinge grundsätzlich positiv sehen und optimistisch sind, kann das ihre Zufriedenheit und ihr Wohlbefinden stärken. Entscheidend ist dabei, dass Emotionen und Gedanken nicht unterdrückt werden, nur weil sie nicht ins gewünschte positive Muster fallen. Wer in einem gesunden Maß positiv eingestellt ist, bleibt realistisch und setzt sich nicht übermäßig unter Druck, immer glücklich, zufrieden oder gut drauf sein zu müssen.
Ist toxische Positivität dasselbe wie zu viel Optimismus? Nicht ganz. Optimismus bezieht sich auf die Zukunft und die Erwartungen daran, was passieren wird oder kann. Wer zu optimistisch ist, hält positive Entwicklungen für wahrscheinlich, auch wenn es dabei keinen Bezug zur Realität mehr gibt. Er unterschätzt dann zum Beispiel Risiken oder ist naiv.
Das ist bei einer Toxic Positivity zwar ähnlich, geht aber noch etwas weiter. Negative Emotionen werden dabei typischerweise als etwas grundsätzlich Schlechtes empfunden oder als unberechtigt angesehen. Diese Art der überzogenen Positivität bezieht sich nicht nur auf einen selbst, sondern häufig auch auf andere. Deren Bedenken, Gefühle oder Sorgen nimmt man nicht ernst, sondern tut sie mit pauschalen Aussagen ab. Als Beispiel: „Du musst einfach nur positiv denken, dann wird das schon!“
Anzeichen für toxische Positivität
Ein Hang zur Toxic Positivity kann sich durch verschiedene Anzeichen bemerkbar machen. Wenn Sie sich in den folgenden Beschreibungen wiederfinden, könnte es sein, dass Ihr positives Denken ungesunde Maße angenommen hat:
- Sie unterdrücken negative Gedanken und Gefühle.
- Sie haben ein schlechtes Gewissen, wenn Sie negativ denken.
- Sie verdrängen Probleme oder schwierige Themen.
- Sie sprechen Probleme nicht an und hoffen, dass sie sich von selbst erledigen.
- Sie versuchen beinahe zwanghaft, an allen negativen Entwicklungen etwas Positives zu sehen.
- Es zieht Sie herunter, wenn andere über Probleme reden.
- Sie antworten auf die Frage, wie es Ihnen geht, automatisch, dass es Ihnen sehr gut geht, auch wenn das gar nicht stimmt.
- Sie haben manchmal das Gefühl, Ihre wahren Gefühle vor anderen verbergen zu müssen, was sehr belastend sein kann.
- Vielleicht glauben Sie auch, nicht Sie selbst sein zu können.
- Gespräche selbst mit nahestehenden Personen gehen womöglich nicht in die Tiefe, weil negative Aspekte ausgeklammert werden.
- Sie versuchen immer den Anschein zu erwecken, dass Sie gut gelaunt sind.
- Wenn andere Ihnen von ihren Problemen erzählen, versuchen Sie, den Blick auf die positiven Dinge zu lenken, oder leiten schnell zu einem anderen Thema über.
- Negative Gefühle bei sich selbst oder anderen auszuhalten, fällt Ihnen sehr schwer.
- Wenn andere Probleme haben, möchten Sie diese am liebsten für sie lösen – und geben (auch ungebetene) Ratschläge, statt einfach zuzuhören.
- Sie haben keine Lust auf Menschen, die schlechte Laune haben, deprimiert oder nachdenklich wirken.
- Negative Entwicklungen, denen Sie sich entziehen können, blenden Sie häufig einfach aus, wie beispielsweise Medienberichte.
Ursachen: Wie Toxic Positivity entstehen kann
Positives Denken liegt im Trend. Überall ist zu lesen oder zu hören, was es alles bewirken kann – von mehr Zufriedenheit, besseren Beziehungen bis hin zu einem längeren Leben, das ausgewiesenen Optimisten wissenschaftlich attestiert wird. Keine Frage: Positivität hat ihre Berechtigung, sie kann viele Vorteile mit sich bringen. Zugleich kann der Fokus darauf jedoch auch zwanghaft werden, wenn Glück, Zufriedenheit und Harmonie idealisiert werden.
Toxic Positivity kann durch ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren entstehen. Eine Rolle spielen gesellschaftliche Werte – wie eben positives Denken, was vor allem bei jüngeren Generationen zunehmend auf Interesse stößt. Dadurch kann jedoch der Eindruck entstehen, dass negative Gefühle per se schlecht und damit unerwünscht sind. Im Umkehrschluss sorgt das für Druck, immer alles positiv zu sehen und Gefühle zu unterdrücken, die dem nicht entsprechen.
Artikel auf Blogs, Posts in sozialen Medien oder Coaching-Angebote tun häufig ihr Übriges. Manchen Inhalten zufolge ist eigentlich alles gut auf der Welt, wenn man es nur im richtigen Licht sieht. Das verstärkt den Druck auf Einzelne, sich einer pauschalen Positivität zu verschreiben. Wer doch schlecht drauf oder negativ eingestellt ist, ist vermeintlich selbst schuld.
Auch individuelle Bewältigungsstrategien können an der Entstehung von Toxic Positivity einen Anteil haben. Die Betroffenen können dann etwa mit negativen oder ambivalenten Gefühlen nicht angemessen umgehen. Stattdessen ignorieren sie, was nicht in ihr Konzept oder Weltbild passt. Das mag kurzfristig entlastend sein, weil man sich damit nicht mehr befassen muss. Unterbewusst bestehen Probleme oder negative Gefühle jedoch fort, wodurch sie zu einer latenten Belastung werden können.
Einen Anteil haben auch die Menschen, mit denen sich jemand umgibt. Wer zum Beispiel vorwiegend Kolleginnen und Kollegen hat, die übermäßig positiv eingestellt sind, wird sich dem eher anpassen. Noch stärker kann der Effekt im privaten Freundeskreis sein.
Mögliche Auswirkungen von Toxic Positivity: Wenn positives Denken mehr schadet als nützt
Wenn im Job ständig alle gut drauf sind und positive Energie verströmen, könnte man meinen: Ist doch super! Geht der Fokus aufs Positive jedoch zu weit, entsteht schnell eine Toxic Positivity, die keinesfalls positive Auswirkungen hat. Sowohl für einzelne Beschäftigte als auch für Teams kann ein Übermaß an Positivität zu einem echten Problem werden.
Wenn sich Arbeitskräfte zu einer stets positiven Einstellung gezwungen fühlen oder sich ein solches Verhaltensmuster aus anderen Gründen angeeignet haben, kann das Stress verursachen. Den Betroffenen kann das bewusst sein, oft ist das jedoch nicht der Fall. Es kann auf Dauer sehr erschöpfend sein, alles positiv sehen zu müssen und immer positiv zu reagieren, egal, was passiert. Dadurch werden negative Gefühle verdrängt, was eine Verarbeitung dieser Emotionen verhindert. Das kann ernst zu nehmende psychische Probleme bis hin zu Burn-out und Depressionen wahrscheinlicher machen.
Arbeitskräfte, die zu optimistisch sind oder zwanghaft positiv denken, können außerdem schlechtere Leistungen erbringen. Das kann der Fall sein, wenn sie sich mit Fehlern oder suboptimalen Entwicklungen nicht auseinandersetzen. Ein übermäßiger Fokus auf positives Denken kann darüber hinaus dazu führen, dass Menschen das Gefühl haben, nicht sie selbst sein zu können.
Wie Toxic Positivity Teams schaden kann
Im Team kann Toxic Positivity für ungesunde Dynamiken sorgen. Es könnte zum Beispiel sein, dass das Team so tut, als sei alles wunderbar, während Probleme und Konflikte unter den Teppich gekehrt werden. Dadurch gibt es keine Möglichkeit, negativen Entwicklungen adäquat zu begegnen. Wenn sie nicht eingestanden werden, kann man sich nicht damit auseinandersetzen und Lösungsvorschläge erarbeiten.
In Teams, in denen eine Toxic Positivity herrscht, gibt es keine offene, ehrliche Kommunikation. Kritik wird häufig nicht geäußert, selbst wenn sie konstruktiv und hilfreich wäre, was die Entwicklung von Teams behindert. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich Mitarbeiter in Strategien verrennen, die nicht zielführend oder sogar kontraproduktiv sind. Das kann die Kreativität und Innovationsfähigkeit deutlich verringern. Zu viel Optimismus sorgt zudem dafür, dass Herausforderungen und mögliche Hindernisse nicht angemessen eingeschätzt werden, was zu negativen Entwicklungen führen kann. Auf einer Unternehmensebene kann eine solche Kultur langfristig großen Schaden anrichten.
Strategien und Ansätze, um Toxic Positivity zu überwinden
Ein Übermaß an positivem Denken kann schädlich sein. Umso wichtiger ist es, entsprechende Tendenzen zu erkennen – und ihnen möglichst frühzeitig mit geeigneten Ansätzen zu begegnen. Es gibt verschiedene Dinge, die Sie tun können, um eine Toxic Positivity zu bekämpfen. Das gilt auf der Ebene der einzelnen Mitarbeiter ebenso wie für Führungskräfte.
Arbeitskräfte, die entweder selbst zu optimistisch und positiv sind oder diese Entwicklungen in ihrem Team oder bei Kollegen erkennen, sollten die Situation reflektieren. Dazu gehört es, auch negative Gefühle oder Entwicklungen anzuerkennen, ohne sich dafür schuldig zu fühlen. Beschäftigte sollten nicht dazu beitragen, eine toxische Positivität aufrechtzuerhalten. Stattdessen ist es wichtig, auch negative Aspekte zu sehen, statt sie zu verdrängen. Wenn andere über Sorgen, Wut oder Traurigkeit sprechen, ist es wichtig, ihnen zuzuhören. Sätze wie „Sieh es mal positiv“ sind nicht hilfreich. Besser ist es, zu signalisieren, dass man für die Betroffenen da ist.
Herausforderungen, Konflikte und andere Probleme lassen sich weder im beruflichen noch im privaten Alltag vermeiden. Es ist wichtig, sie zu erkennen und eine Strategie im Umgang damit zu entwickeln. Das setzt voraus, dass negative Aspekte nicht verdrängt werden, sondern man aktiv an konstruktiven Lösungen arbeitet – falls nötig auch, indem man das Problem offen zur Sprache bringt.
Was Führungskräfte tun können
Eine offene, ehrliche Kommunikation im Team ist wichtig, damit keine Toxic Positivity entsteht. Dazu gehört es, Missverständnisse zu klären und persönliche Konflikte anzusprechen, auch wenn es schwerfallen mag. Ebenso wichtig ist eine konstruktive Feedbackkultur, in der Beschäftigte sowohl bereit sein sind, ehrliches Feedback zu geben, als auch, es anzunehmen.
Wie Führungskräfte sich verhalten, hat großen Einfluss auf das Ausmaß von Optimismus und positivem Denken am Arbeitsplatz. Während es für das Arbeitsklima und die Motivation der Mitarbeiter grundsätzlich gut ist, wenn Vorgesetzte positiv eingestellt sind, sollte die Positivität nicht überhandnehmen. Andernfalls könnten Probleme ignoriert und Fehler begünstigt werden. Stattdessen sollten Führungskräfte eine offene Kommunikation fördern und signalisieren, dass auch kritische Rückmeldungenerwünscht sind.
Eine gute Führungskraft würdigt die Erfolge ihrer Mitarbeiter, ohne dabei Herausforderungen, Hindernisse und Rückschläge auszublenden. Sie ermutigt die Beschäftigten zur Reflexion und unterstützt eine realistische und dennoch optimistische Grundhaltung. So kann eine authentische positive Atmosphäre entstehen, die weder zwanghaft ist noch die Mitarbeiter unter Druck setzt.
Toxic Positivity: Hier erfahren Sie mehr
Sie möchten mehr darüber wissen, warum Toxic Positivity so schädlich ist und wie man ihr begegnen kann – im beruflichen Umfeld und im privaten Bereich? Dann können Sie von zusätzlichen Ressourcen zum Thema profitieren. Hier sind einige Lektüre-Tipps:
- „Toxic Positivity: Wie wir uns von dem Druck befreien, immer glücklich sein zu müssen“ von Whitney Goodman. Hier erfahren Sie, wie schädlich der Druck sein kann, stets positiv zu denken, und was Sie dagegen tun können.
- „Das Glück ist mit den Realisten: Warum positives Denken überbewertet ist“ von Oliver Burkeman. Positives Denken ist der Schlüssel zum Glück? Burkeman plädiert für eine realistischere Herangehensweise.
- „Danke, nicht gut: Für reflektierte Gelassenheit statt toxischer Positivität“ von Franz Himpsl und Judith Werner. Die Autoren plädieren für mehr Gelassenheit und weniger zwanghaftes positives Denken.
- „Die Happiness-Lüge: Wenn positives Denken toxisch wird“ von Anna Maas. Die Autorin zeigt, welche negativen Effekte übermäßig positives Denken haben kann und welche Alternativen es dazu gibt.
- „Die Psychologie des Gelingens“ von Gabriele Oettingen. Hier erfahren Sie, wie Ihnen ein realistischer Optimismus dabei helfen kann, Ihre Ziele zu erreichen.
Wenn Sie Unterstützung bei der Überwindung von Toxic Positivity benötigen, können Sie sich an Therapeuten, Coaches und Beratungsstellen wenden. Nützlich können auch Selbsthilfegruppen und der Austausch mit Gleichgesinnten in Online-Foren sein. Im Job haben Sie außerdem die Möglichkeit, mit einem Vorgesetzten zu sprechen. In manchen Unternehmen gibt es zudem spezielle Ansprechpartner, die sich für die psychische Gesundheit der Beschäftigten einsetzen.
Fazit: Toxic Positivity überwinden
- Hinter Toxic Positivity steckt ein zwanghaft positives Denken, bei dem negative Gefühle und Gedanken verdrängt werden.
- Hinweise auf eine übermäßige Positivität können etwa das Unterdrücken von negativen Emotionen sein, der Unwillen, sich mit bestimmten Themen zu befassen, oder das Meiden von „negativen“ Menschen.
- Toxic Positivity kann durch gesellschaftliche und medial vermittelte Werte begünstigt werden. Positives Denken wird häufig idealisiert, was besonders in Verbindung mit ungeeigneten Bewältigungsstrategien zum Problem werden kann.
- Im Job kann ein Übermaß an positivem Denken zu Stress, Fehlern und verdrängten Konflikten führen.
- Durch Selbstreflexion und bewusstes Handeln ist es möglich, eine toxische Positivität zu überwinden. Dabei helfen eine ehrliche Kommunikation und die Akzeptanz von negativen Gefühlen und Entwicklungen.
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