Selbstausbeutung: Warum sie so schädlich ist und was Sie tun können
Gehören Sie zu den Menschen, die überzogene Erwartungen an sich selbst haben? Die nie zufrieden sind? Und die im Zweifel über die Grenzen des eigenen Leistungsvermögens hinausgehen? Dann neigen Sie womöglich zu Selbstausbeutung. Was genau das ist und warum es so ein Problem ist, erfahren Sie hier. Außerdem geben wir Ihnen Tipps, wie Sie die Selbstausbeutung beenden können.
Wann spricht man von Selbstausbeutung?
Selbstausbeutung – zerlegt man diesen Begriff in seine Bestandteile, wird die Bedeutung offensichtlich: Es handelt sich um die Ausbeutung seiner selbst. Wie die Selbstausbeutung konkret aussieht, kann unterschiedlich sein. So kann sich Ihre Selbstausbeutung zum Beispiel zeigen:
- Sie machen „freiwillig“ Überstunden, weil an der Arbeit so viel zu tun ist, obwohl Sie eigentlich dringend Erholung bräuchten
- In Ihrer Freizeit tun Sie, was andere von Ihnen erwarten, statt das, worauf Sie wirklich Lust haben
- Sie neigen dazu, immer produktiv sein zu wollen, obwohl Sie frei haben – also besser Sport machen als faul vor dem Fernseher hängen
- Wenn andere Sie um einen Gefallen bitten, sagen Sie meist instinktiv ja – ungeachtet dessen, was diese Zusage für Ihr Wohlbefinden, Ihren Stress und Ihre Gesundheit bedeutet
- Sie sind perfektionistisch und möchten in jeder Lebenslage glänzen
- Damit der Vorgesetzte mit Ihnen zufrieden ist, übernehmen Sie sämtliche Extra-Aufgaben, die Sie finden können
- Sie nehmen die Arbeit mit nach Hause, lesen zum Beispiel morgens beim Frühstück berufliche E-Mails oder sitzen abends noch mit dem Laptop auf der Couch, um eine Präsentation vorzubereiten oder an einem Bericht zu feilen
Menschen, die sich selbst ausbeuten, gehen über die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit hinweg. Das charakteristische Merkmale von Selbstausbeutung ist dabei, dass die Betroffenen ihre körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse ignorieren. Das kann damit zusammenhängen, dass sie sich dieser gar nicht bewusst sind, oder sie empfinden sie als weniger wichtig als das, was sie gerade tun. Solche Menschen neigen dazu, sich für ihre Ziele und die Ziele anderer Menschen aufzuopfern.
Ausbeutung am Arbeitsplatz: So kann Selbstausbeutung im Job aussehen
Häufig zeigt sich die Tendenz zur Selbstausbeutung im Zusammenhang mit dem Job. Oft betrifft es die Menschen, die nicht nur gefühlt immer nur arbeiten. Sie haben selten wirklich eine Pause und sind gedanklich immer mit der Arbeit beschäftigt, auch wenn sie frei haben. Um Eindruck beim Vorgesetzten zu machen, tun die Betroffenen mehr, als sie müssten. Typisch sind viele Überstunden und ein großes Engagement, das mit sehr guten Leistungen einhergeht.
Das Risiko zur Selbstausbeutung im Job kann bei einer Tätigkeit im Homeoffice besonders groß sein. Das hängt damit zusammen, dass bei der Arbeit zuhause die Grenzen zwischen Job und Privatleben schneller verwischen. Viele Beschäftigte verlieren im Homeoffice eher den Überblick darüber, wie lange sie schon arbeiten, wodurch manche eher Überstunden machen. Außerdem tun sich viele im Homeoffice schwerer, einen Schlussstrich zu ziehen.
Auch viele Selbstständige neigen zu Selbstausbeutung. Für sie hängt der Erfolg im Job unmittelbar mit ihrem Einsatz zusammen. Leisten sie zu wenig, verdienen sie womöglich nicht genug Geld. Viele Selbstständige haben dadurch Druck. Andere lieben ihre Arbeit und hängen sich deshalb voll rein – manchmal aber auch bis zur Selbstausbeutung.
Woher kommt die Selbstausbeutung?
Woran liegt es, dass manche Menschen sich selbst ausbeuten? Das hängt mit der Persönlichkeit der Betroffenen zusammen. Viele Betroffene sind perfektionistisch und möchten immer die besten Ergebnisse erzielen. Dabei spielt es manchmal gar keine Rolle, worum es geht – der Perfektionismus wird zum Automatismus. Er bezieht sich dann auf alle möglichen Bereiche des Lebens vom Job über Hobbys bis zum Haushalt. Das kann seine Wurzeln in der Kindheit haben: Schon als Kind haben solche Menschen oft ein übermäßiges Pflichtgefühl vermittelt bekommen. Als Erwachsene glauben sie dann, immer funktionieren zu müssen.
Wenn es zu einer Selbstausbeutung am Arbeitsplatz kommt, kann das verschiedene Ursachen haben. Manchmal ist der Druck auf die Beschäftigten so groß, dass sie das Gefühl haben, gar nicht anders zu können, als sich selbst auszubeuten. Womöglich leisten auch die Kollegen mehr als sie müssten, was einen Anpassungsdruck erzeugt. Wer sich unter diesen Umständen nicht voll reinhängt, könnte in der Gunst des Chefs sinken. Oft spielen die Erwartungen des Arbeitgebers eine Rolle, wenn jemand sich selbst an der Arbeit ausbeutet. Viele Arbeitgeber erwarten zum Beispiel, dass ihre Mitarbeiter auch in der Freizeit grundsätzlich erreichbar sind. Manche haben keine Skrupel, Beschäftigte in Schichtdiensten auch an freien Tagen zu kontaktieren – zum Beispiel, um sie spontan zu bitten, arbeiten zu kommen.
Wie Trends in der Arbeitswelt das Problem verschärfen können
Wenn jemand immer nur arbeitet und die Erholung zu kurz kommt, kann das auch damit zusammenhängen, dass ihm sein Job sehr wichtig ist. Er empfindet die Arbeit womöglich als sinn- und identitätsstiftend. Die Betroffenen arbeiten dann nicht selten „freiwillig“ viel mehr, als sie müssten, weil es ihnen Spaß macht. Dabei vernachlässigen sie jedoch ihre anderen Bedürfnisse.
In manchen Fällen steckt hinter einer Selbstausbeutung im Job die Angst um den eigenen Arbeitsplatz. Wenn jemand zum Beispiel nur einen befristeten Arbeitsvertrag hat, weiß er womöglich nicht, ob dieser verlängert wird. Also zeigt er besonders gute Leistungen, um eine weitere Zusammenarbeit wahrscheinlicher zu machen.
Auch der Trend zur Arbeit im Homeoffice und flexible Arbeitszeiten können Selbstausbeutung im Beruf wahrscheinlicher machen. Viele Beschäftigte handeln sehr eigenverantwortlich und haben viele Freiheiten. Damit geht oft ein hohes Verantwortungsgefühl einher, was dafür sorgen kann, dass die Beschäftigten sich nur schwer von ihrem Job lösen können. Sie sind dann oft auch in der Freizeit gedanklich oder tatsächlich mit der Arbeit beschäftigt. Flexible Arbeitszeiten, besonders im Homeoffice, können es schwieriger machen, die eigene Arbeitszeit im Blick zu behalten.
Mögliche Folgen von Ausbeutung am Arbeitsplatz und im Privatleben
Wenn jemand zu Selbstausbeutung im Job und in anderen Bereichen des Lebens neigt, ist das oft ein wiederkehrendes Muster. Die Betroffenen beuten sich dann nicht nur in bestimmten, vereinzelten Situationen selbst aus, sondern sie tendieren generell dazu, sich aufzuopfern. Das hat oft früher oder später Folgen, die schwerwiegend sein können.
Durch eine Selbstausbeutung kommen zwangsläufig bestimmte Bedürfnisse zu kurz. Wer sich an der Arbeit ausbeutet, hat wahrscheinlich nicht mehr viel Freizeit. Nicht wenige Betroffene nutzen die verbleibende Freizeit, um sich um Verpflichtungen zu kümmern. Erholung? Fehlanzeige. Sie ist vermeintlich nicht so wichtig – Hauptsache, beruflich und privat läuft alles. Wenn Betroffene sich nicht mehr entspannen können, weil sie zu viel Stress oder schlicht keine Zeit dafür haben, leidet darunter ihr Wohlbefinden. Sie fühlen sich womöglich weniger ausgeglichen, sind leichter reizbar und weniger zufrieden mit ihrem Leben. Es kann auch zu zwischenmenschlichen Konflikten kommen, zum Beispiel mit dem Partner.
Auf Dauer kann Selbstausbeutung psychische und körperliche Auswirkungen haben. Die Betroffenen fühlen sich dann zum Beispiel häufig unruhig, sie sind nervös, ängstlich oder schlecht gelaunt. Depressionen und Burnout können wahrscheinlicher werden. Viele schlafen schlecht, leiden an Rückenschmerzen oder haben oft Kopfschmerzen. Andere entwickeln einen Tinnitus oder bekommen Magen-Darm-Beschwerden.
Selbstausbeutung kann die Lebensqualität der Betroffenen stark verringern. Im Job hat sie auch Konsequenzen für die Kollegen: Wenn jemand durch seine Selbstausbeutung besonders gute Leistungen erbringt, erwartet der Chef das womöglich auch bald von den Kollegen. Wer in seinem Engagement nicht über das normale Maß hinausgeht, ist schnell als Low-Performer abgestempelt. So kann die Selbstausbeutung einer einzelnen Person den Druck für alle erhöhen.
Prävention: So können Sie einer Selbstausbeutung vorbeugen
Viele Menschen haben eine Tendenz dazu, sich selbst auszubeuten. Diese Tendenz muss aber nicht zu einer tatsächlichen Selbstausbeutung führen. Entscheidend ist, dass Sie wissen, wie Sie eine Selbstausbeutung verhindern können. Dazu besteht der erste Schritt darin, zu erkennen, dass Sie zu Selbstausbeutung neigen. Wenn Ihnen das klar ist, können Sie auf der Hut sein. Analysieren Sie bestimmte Situationen, in denen sich Ihre Selbstausbeutung gezeigt hat. So erkennen Sie wahrscheinlich schnell Muster und sehen klarer, in welchen Situationen Sie besonders gefährdet sind.
Vielleicht fällt es Ihnen schwer, Nein zu sagen, wenn Freunde und Angehörige Sie um einen Gefallen bitten. Vielleicht können Sie dem Chef oder der Chefin keine Bitte abschlagen. Oder vielleicht haben Sie das Gefühl, immer produktiv sein zu müssen und sich keine Entspannung gönnen zu können, wenn noch etwas zu tun ist. Egal, was es ist: Analysieren Sie die Umstände weiter. Woher kommt Ihr Drang zur Selbstausbeutung? Fühlen Sie sich dazu gezwungen, mehr zu leisten, als eigentlich gut für Sie ist? Oder neigen Sie dazu, Ihre Grenzen falsch einzuschätzen? Haben Sie vielleicht ganz allgemein überzogene Erwartungen an sich selbst?
Im nächsten Schritt können Sie Ihre Herangehensweise an Situationen ändern, die Sie ansonsten triggern könnten. Überlegen Sie sich schon im Vorfeld, wie Sie in bestimmten Situationen reagieren können, um eine Selbstausbeutung zu vermeiden. Legen Sie sich ruhig konkrete Strategien zurecht. Zum Beispiel: Wenn mich Freundin XY mal wieder um einen Gefallen bittet, sage ich nicht sofort zu, sondern überlege, ob ich das leisten kann und was es für mich bedeutet. Wenn ich dadurch zu viel Stress hätte, sage ich freundlich, aber bestimmt, dass ich das leider nicht machen kann. Oder: Wenn mich der Chef mal wieder nach Feierabend anruft, gehe ich einfach nicht ran.
Tendenz zur Selbstausbeutung: Was kann man dagegen tun?
Manchen Menschen ist gar nicht bewusst, wie schädlich ihre Selbstausbeutung ist. Sie ignorieren ihre Bedürfnisse, ohne zu realisieren, dass sie sich damit keinen Gefallen tun. Anderen ist sehr klar, dass ihnen ihre Selbstausbeutung nicht guttut. Sie wissen aber nicht, wie sie anders reagieren können, um eine Selbstausbeutung am Arbeitsplatz oder im Privatleben zu verhindern. Was kann man tun, wenn man zu Selbstausbeutung neigt?
Wichtig ist, dass Sie sowohl die Gründe für Ihre Selbstausbeutung (er)kennen als auch die Folgen davon klar sehen. Überlegen Sie auch: Was habe ich davon, dass ich mich selbst ausbeute? Ist es wirklich „nötig“, um dem Vorgesetzten mein Engagement unter Beweis zu stellen? Oder um zu zeigen, was für eine gute Freundin ich bin? Vergegenwärtigen Sie sich, welche Bedürfnisse durch Ihre Selbstausbeutung zu kurz kommen. Was bedeutet das für Ihre Lebensqualität, Ihr Wohlbefinden und Ihre Gesundheit?
Es ist ebenso wichtig, dass Sie sich darüber Gedanken machen, welche Prioritäten Sie im Leben haben – und überlegen, wie Sie danach handeln können. Angenommen, Ihnen sind Familie und Freunde wichtiger als die Arbeit. Trotzdem lassen Sie sich ständig breitschlagen, länger zu bleiben oder einzuspringen, wenn Kollegen erkrankt sind. Dadurch kommen Ihre Lieben zu kurz. Dieses Verhalten steht nicht im Einklang mit Ihren Werten. Sie sollten also lernen, sich anders zu verhalten, um zufriedener mit sich und Ihrem Leben zu sein.
Perfektionismus bekämpfen
Viele Menschen, die zu Selbstausbeutung neigen, sind Perfektionisten. So ein Persönlichkeitsmerkmal ist oft sowohl genetisch begünstigt als auch erlernt. Es zu verändern kann deshalb sehr schwer sein, aber es ist nicht unmöglich. Sie können Ihren Perfektionismus bekämpfen, indem Sie sich zwingen, nicht immer 110 Prozent zu geben.
Sagen wir, Sie sind todmüde, die Küche müsste aber noch aufgeräumt werden. Dann sagen Sie ganz bewusst: Nein, das mache ich jetzt nicht mehr. Ich brauche meinen Schlaf. Morgen kann ich immer noch aufräumen. Oder Sie arbeiten an einem wichtigen Projekt, in das Sie schon viel Zeit und Herzblut gesteckt haben. Sie finden immer noch Kleinigkeiten, die Sie verbessern können – und halten sich damit ewig auf. Dann können Sie sich dazu zwingen, es einfach gut sein zu lassen. Erklären Sie das Projekt für beendet – und widerstehen Sie Ihren Neigungen, doch noch einmal zu schauen, was noch optimiert werden könnte.
Wenn Sie Ihrem Perfektionismus auf diese Weise weniger Raum geben, lernen Sie, die Dinge etwas entspannter anzugehen. Dadurch fällt es Ihnen mit der Zeit leichter, gegenzusteuern, wenn Sie mal wieder den Drang zu Selbstausbeutung verspüren.
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