Anspruchsdenken macht das (Arbeits-)Leben schwerer

Menschen mit hohem Anspruchsdenken glauben, dass sie ein Anrecht darauf haben, dass ihnen Gutes widerfährt. Nützlich ist eine solche Haltung aber in aller Regel nicht – im Gegenteil: Zu denken, dass man einen Anspruch auf eine bestimmte Behandlung oder Entwicklung hat, kann den Betroffenen schaden. Hier erfahren Sie, woher Anspruchsdenken kommt, wie es sich äußert und was Sie dagegen tun können.

Ein Mann zeigt auf sich, er hat ein hohes Anspruchsdenken

Anspruchsdenken: Was ist damit gemeint?

Anspruchsdenken ist ein Persönlichkeitsmerkmal. Damit ist die tiefgreifende Überzeugung verbunden, dass einem bestimmte Dinge zustehen. Die Betroffenen glauben, ein Anrecht darauf zu haben, dass ihnen Gutes widerfährt – zum Beispiel im Job, im Liebesleben, der Familie oder in anderen Bereichen des Privatlebens.

Anspruchsdenken geht typischerweise mit einem hohen Selbstwert und Gefühlen der Überlegenheit gegenüber anderen Menschen einher. Die Betroffenen glauben, besonders zu sein, woraus sich ihr Anspruchsdenken ableitet. Damit verbunden sind überzogene Erwartungen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem eigenen Einsatz stehen: Man glaubt, ein Anrecht auf eine gute Behandlung oder gute Entwicklungen im eigenen Leben zu haben, ohne zugleich etwas zurückgeben zu müssen. Menschen mit hohem Anspruchsdenken sind Studien zufolge ständig bestrebt, ihren sozialen Status zu verbessern.

Ursachen: Warum entwickeln Menschen ein Anspruchsdenken?

Das Phänomen des Anspruchsdenkens ist in der Psychologie in zahlreichen Studien untersucht worden. Fakt ist: Viele Menschen haben ein Anspruchsdenken, und der Trend scheint zu einer stärkeren Verbreitung der damit verbundenen Annahmen zu gehen. Studien legen nahe, dass das Anspruchsdenken verbreiteter ist als früher und besonders bei jüngeren Menschen ausgeprägt sein kann.

Woher kommt der Glaube daran, dass einem bestimmte Dinge im Berufs- oder Privatleben zustehen? Anspruchsdenken kann verschiedene Ursachen haben. Oft wird der Grundstein für dieses Persönlichkeitsmerkmal schon in der Kindheit gelegt. Wenn wichtige Bezugspersonen selbst entsprechende Ansprüche signalisiert und ihre Haltung weitergegeben haben, wachsen die Kinder oft zu Erwachsenen mit eigenem Anspruchsdenken heran.

Anspruchsdenken kann dadurch begünstigt werden, wenn jemand in einem bestimmten Bereich hart arbeitet oder auf einem bestimmten Gebiet sehr kompetent ist. Es kann auch dann zutage treten, wenn jemand viel für andere getan hat – und nun der Meinung ist, er sei jetzt auch mal dran. Häufig geht Anspruchsdenken mit hohen Erwartungen an sich selbst einher, kann aber auch durch Erwartungen anderer Menschen befördert werden.

Psychologische Erklärungen für Anspruchsdenken

In manchen Fällen ist Anspruchsdenken Teil einer narzisstischen Persönlichkeit. Narzissten zeigen oft Anspruchsdenken als Reaktion auf Frust und Enttäuschungen. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, dass jeder, der ein Anspruchsdenken hat, automatisch ein Narzisst ist.

Eine Erklärung für die Entstehung und Entwicklung von Anspruchsdenken haben die Psychologie-Professoren Joshua Grubbs und Julie Exline in einer Studie im Jahr 2016 veröffentlicht. Demnach folgt Anspruchsdenken – oder Entitlement, wie der englische Fachbegriff dafür lautet –, einem dreistufigen Prozess:

  1. Anspruchsdenken führt dazu, dass die Betroffenen ständig Gefahr laufen, dass ihre Erwartungen nicht erfüllt werden.
  2. Werden ihre Erwartungen nicht erfüllt, ruft das Unzufriedenheit und negative Gefühle hervor. Das Selbstbild der Betroffenen ist dadurch bedroht und sie können sich ungerecht behandelt fühlen – egal, ob das objektiv der Fall ist oder nicht.
  3. Negative Gefühle wie Wut, Frust und (gefühlte) Ungerechtigkeit sorgen für Anpassungsdruck, um diese Gefühle abzumildern. Das kann den Glauben, dass einem bestimmte Dinge zustehen, zusätzlich verstärken.

Anschließend beginnt der Kreislauf von vorne. Die Betroffenen befinden sich damit in einem Teufelskreis.

Wie Anspruchsdenken Ihnen schaden kann

Anspruchsdenken ist nicht nur unbegründet, es kann auch schädlich sein – für die Betroffenen selbst ebenso wie für ihre Mitmenschen. Der Glaube mancher Menschen, dass sie ein Anrecht auf bestimmte Entwicklungen haben, ist nicht haltbar. Niemandem steht etwas zu – selbst dann nicht, wenn sie hart gearbeitet und es damit verdient hätten. Das Leben folgt nicht solchen Prämissen. Es wird im Leben immer Dinge geben, die ungerecht sind. Das mag man für sich genommen unfair finden, was jedoch nichts daran ändert, dass es Ungerechtigkeiten gibt.

Viele Menschen mit Anspruchsdenken erwarten Dinge, ohne dafür einen besonderen Einsatz zu leisten. Selbst wenn sie sich anstrengen, reicht das nicht unbedingt aus, um bestimmte Ziele zu erreichen. Man hat schließlich nicht immer selbst in der Hand, wo man steht und was man schafft.

Diese Umstände sorgen dafür, dass Menschen mit Anspruchsdenken sich dadurch selbst schaden können. Wenn etwas nicht so läuft wie erhofft oder erwartet, reagieren sie mit negativen Gefühlen, die von Wut bis zu Depressionen reichen können. Das kostet Energie und geht zulasten der Zufriedenheit der Betroffenen. Menschen mit einer entsprechenden Erwartungshaltung, die doch nicht befördert werden, den ersehnten Job doch nicht bekommen oder denen jemand im Café das letzte Stück Torte wegschnappt, reagieren darauf meist mit negativeren Emotionen als Menschen, die ein solches Anspruchsdenken nicht haben.

Anspruchsdenken als Grund für Misserfolg

Das hat eine Versuchsreihe von Emily Zitek von der US-amerikanischen Cornell University und Alexander Jordan vom McLean Hospital und der Harvard Medical School gezeigt. Die Probanden mussten zunächst einen Fragebogen ausfüllen, von dem das Level ihres Anspruchsdenkens abgeleitet werden konnte. Die Versuchsteilnehmer erhielten dann die Information, dass sie entweder eine unterhaltsame oder eine sehr langweilige Aufgabe zugelost bekommen würden. Tatsächlich erhielten anschließend alle Probanden die Mitteilung, dass sie Pech gehabt und die langweilige Aufgabe bekommen hätten. Das Ergebnis: Die Probanden mit hohem Anspruchsdenken reagierten auf das vermeintliche Pech beim Losen wütender als die Probanden, deren Anspruchsdenken weniger ausgeprägt war. Sie fühlten sich auch eher unfair behandelt, obwohl die Zuteilung der Aufgaben scheinbar zufällig geschehen war.

Anspruchsdenken kann auch dazu führen, dass man zu wenig dafür tut, bestimmte Dinge zu erreichen – weil man denkt, dass die Entwicklungen ohnehin im eigenen Sinne verlaufen werden. Damit torpedieren die Betroffenen ihren Erfolg ungewollt selbst, weil Erfolg in der Regel das Resultat von harter Arbeit ist.

Nicht zuletzt kann Anspruchsdenken Konflikte mit anderen Menschen befördern. Menschen mit Anspruchsdenken reagieren oft mit Neid auf positive Entwicklungen bei anderen. Ein solcher Unmut kann Beziehungen schädigen und dafür sorgen, dass die anderen Menschen sich von einem abwenden. Zwischenmenschliche Probleme bis hin zur Isolation können die Folge sein.

Daran können Sie Ihr eigenes Anspruchsdenken bemerken

Haben Sie selbst ein Anspruchsdenken? Darauf deuten Gedanken wie diese hin:

  • „Das habe ich verdient.“
  • „Das steht mir zu.“
  • „Jetzt bin ich aber mal dran.“
  • „Ich habe etwas Besseres verdient.“

Menschen mit Anspruchsdenken glauben fest daran, dass ihnen Gutes widerfahren müsse – zum Beispiel, weil sie kompetent sind oder sich für einen guten Menschen halten, bei dem es nur gerecht wäre, wenn die Dinge in seinem Sinne verlaufen. Nicht jedem Betroffenen ist bewusst, mit welchen überzogenen Erwartungen er an bestimmte Dinge herangeht. Bei genauerer Betrachtung lässt sich aber meist schnell feststellen, dass ein Anspruchsdenken vorhanden ist.

Vielleicht glauben Sie ganz generell, dass Sie in mancherlei Hinsicht mehr verdient haben: einen besseren Partner, einen besseren Job, ein höheres Gehalt, bessere Freunde, ein eigenes Haus statt einer Mietwohnung oder eine frühere Rente nach einem langen Berufsleben. Anspruchsdenken kann sich nicht nur bei elementaren Entwicklungen zeigen, sondern auch im Kleinen: zum Beispiel dann, wenn Sie sich darüber ärgern, dass Sie nicht sofort einen Termin bei einem Facharzt bekommen, dass der Praktikumsplatz an jemand anderen geht oder dass sie keinen Parkplatz in unmittelbarer Nähe zu ihrer Wohnung finden.

Wenn Sie ein Mensch sind, der in solchen Situationen sehr frustriert ist oder sich ungerecht behandelt fühlt, deutet das auf ein Anspruchsdenken hin. Beobachten Sie am besten mal eine gewisse Zeit lang, wie Sie mit Situationen umgehen, in denen Sie nicht das bekommen, was Sie sich gewünscht haben. So werden Sie schnell feststellen, wie es um Ihr Anspruchsdenken bestellt ist.

Was kann man gegen Anspruchsdenken tun?

Was kann man tun, um das eigene Anspruchsdenken zu verringern? Entscheidend ist, ob es Ihnen gelingt, Ihre Grundhaltung zu verändern. Erkannt zu haben, dass Sie überzogene oder unbegründete Erwartungen haben, ist ein wichtiger erster Schritt. Machen Sie sich klar, dass niemand einen Anspruch auf irgendetwas hat, jedenfalls nicht abseits von rechtlichen Regelungen wie zum Beispiel das Recht, für Arbeit bezahlt zu werden, oder eine Mietwohnung auch tatsächlich nutzen zu können.

Machen Sie sich auch bewusst, dass Anspruchsdenken Sie nicht weiterbringt, sondern im Gegenteil sogar ein Hindernis sein kann. Es ist wesentlich hilfreicher, wenn Sie lernen, für die guten Dinge in Ihrem Leben dankbar zu sein. Selbst wenn Sie dafür einen hohen Einsatz gebracht haben, hatten Sie nie die Gewissheit, es auch tatsächlich zu schaffen. Ein Dankbarkeitstagebuch kann Ihnen helfen, eine neue Perspektive zu gewinnen.

Statt von vornherein bestimmte Erwartungen zu haben, ist es besser, sich auf das Erreichen Ihrer Ziele zu fokussieren. Geben Sie Ihr Bestes dafür, bestimmte Dinge zu schaffen, statt das einfach als gegeben vorauszusetzen. Dadurch schaffen Sie nicht nur womöglich mehr, sondern es hat auch den positiven Nebeneffekt, dass Sie im Fall von Rückschlägen und Hindernissen wahrscheinlich nicht so leicht die Flinte ins Korn werfen.

Es ist nützlich, wenn Sie es sich zur Angewohnheit machen, immer wieder zu hinterfragen, ob Ihnen bestimmte Ansprüche an sich selbst und andere wirklich helfen. Genauso wichtig ist die Frage, inwieweit diese Ansprüche überhaupt realistisch sind und warum Sie glauben, dass Sie ein Anrecht auf bestimmte Dinge haben. Seien Sie nachsichtig mit sich, wenn Sie Ihr Anspruchsdenken nicht nach wenigen Tagen oder Wochen überwunden haben. Es ist nicht so leicht, langjährige Verhaltensweisen und Denkmuster zu durchbrechen. Mit der nötigen Geduld wird es Ihnen aber gelingen, Ihre Erwartungen auf ein gesünderes Maß zurückzuschrauben.

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