Hilfe, ich bin zu nett: Wann Ihnen Nettigkeit schaden kann

Sind Sie ein netter Mensch? Sind Sie vielleicht sogar zu nett zu anderen? Das kann ein Nachteil für Sie sein. Was heißt es, zu nett zu sein? Wie findet man heraus, ob man zu nett ist? Und wie kann man in diesem Fall gegensteuern, um sich bei all der Nettigkeit nicht selbst aufzuopfern und dabei die eigenen Bedürfnisse zu übergehen? In diesem Beitrag erfahren Sie mehr.

Eine Frau bringt für alle Mitarbeiter einen Kaffee mit, wann ist man zu nett?

Zu nett sein: Was heißt das?

Ein netter Mensch ist laut Duden jemand, der freundlich und liebenswert ist, „im Wesen angenehm“. Das macht auch den Kontakt mit solchen Menschen angenehm. Nette Menschen sind oft zuvorkommend und tun etwas für andere, statt nur an sich zu denken. Oft legen sie viel Wert auf Harmonie, was es unwahrscheinlich macht, dass man in einen Konflikt mit ihnen gerät – und wenn doch, geben sie womöglich schnell nach.

Nettigkeit zeigt sich in alltäglichen Interaktionen: Wenn Sie mit einem netten Kollegen sprechen, wird dieser dabei womöglich viel lächeln und Ihnen damit sein Wohlwollen signalisieren. Er stimmt Ihnen womöglich häufig zu und ist im Umgang mit Ihnen (und anderen Menschen) behutsam und bedacht. Nette Menschen können oft zugleich gut zuhören, freuen sich ehrlich über das Glück anderer und machen anderen Komplimente, wo es sich anbietet.

Was heißt es nun, nicht nur nett, sondern zu nett zu sein? In der Psychologie wird zu nett sein nicht unbedingt als etwas Erstrebenswertes angesehen. Wo liegt die Grenze? Es kann Unterschiede dabei geben, in welcher Hinsicht jemand zu nett ist, und es kommt auf die Perspektive an. Wenn jemand einen Freund hat, der immer da ist, wenn es um einen Gefallen geht, findet die andere Person denjenigen womöglich nicht zu nett. Der Freund selbst aber kommt sich womöglich irgendwann ausgenutzt vor – und ärgert sich über sein Übermaß an Nettigkeit.

Wenn davon die Rede ist, dass jemand zu nett ist, schwingt etwas Negatives dabei mit. Diese Nachteile betreffen in der Regel die (zu) nette Person stärker als andere. Welche Nachteile es haben kann, zu nett zu sein, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.

Warum übermäßige Nettigkeit ein Nachteil sein kann

Nette Menschen können in eine Nettigkeitsfalle geraten: Sie sind so nett, dass es zwar für andere Vorteile hat, für sie selbst aber in erster Linie mit Nachteilen verbunden ist. Da wäre zum Beispiel die Gefahr, von anderen ausgenutzt zu werden. Wenn es jemanden gibt, der sich immer wieder breitschlagen lässt und der seine eigenen Bedürfnisse im Zweifel denen anderer unterordnet, können andere Profit daraus schlagen. Während der nette Mensch wahrscheinlich nie auf die Idee käme, andere auszunutzen, wird er selbst womöglich schamlos ausgenutzt.

Manchmal tun andere das unbewusst und ohne böse Absicht, zum Beispiel Angehörige oder Freunde, die sich an die Hilfsbereitschaft der netten Person gewöhnt haben. In anderen Fällen steckt hinter dem Ausnutzen Kalkül: Die andere Person hat gemerkt, dass es hier jemanden gibt, der sich aufopfert, und nutzt das gezielt für ihre Zwecke. Das könnte zum Beispiel ein Arbeitskollege oder ein Bekannter sein, der an dem Wohlergehen der betreffenden Person überhaupt nicht interessiert ist. Er ist vielleicht seinerseits nett zur netten Person, seine Nettigkeit ist aber nur eine Fassade.

Menschen, die von anderen als zu nett empfunden werden, können durch ihre übermäßige Nettigkeit schwach oder naiv wirken. Es kann sein, dass andere sie als Opfer betrachten. Das ist auch im Job nicht gerade förderlich: Die Jobzusage oder eine Beförderung erhalten eher diejenigen, die selbstbewusst ihre Ziele verfolgen. Nettigkeit spielt dabei eine untergeordnete Rolle.

Mit Nettigkeit zum Job? Nicht unbedingt

Selbst im Vorstellungsgespräch ist Nettsein nicht unbedingt ein Pluspunkt. Sie können zwar in diversen Bewerbungsratgebern nachlesen, wie wichtig es sei, im Bewerbungsgespräch viel zu lächeln. Ob das wirklich so nützlich ist, daran weckt eine neue Meta-Studie aus den USA allerdings Zweifel. Die Forscher haben mehr als 60 Studien ausgewertet und dabei eine überraschende Entdeckung gemacht: Lächeln ist demnach nicht nur nicht förderlich für eine Jobzusage, sondern kann sogar kontraproduktiv sein. Das sollte Sie natürlich nicht davon abhalten, hier und da ein ehrliches Lächeln zu zeigen, wenn Sie einen potenziellen Arbeitgeber kennenlernen. Wichtiger aber sind ein professioneller Auftritt und ein gepflegtes Äußeres.

Zu nett zu sein kann dazu führen, dass die eigenen Bedürfnisse vernachlässigt werden. Das kann für Frust und Unzufriedenheit sorgen, aber auch ernsthafte körperliche und psychische Konsequenzen haben. So kann zum Beispiel das Risiko für Burnout oder Depressionen erhöht sein. Es sind nicht nur die zu netten Menschen selbst, die ihre Bedürfnisse hintenanstellen. Wenn sie nicht für sich einstehen, werden auch andere ihre Bedürfnisse eher übergehen.

Viele nette Menschen denken, dass andere sie mit derselben Fairness und Nettigkeit behandeln werden, wie sie es umgekehrt tun. Das ist aber längst nicht immer der Fall. Dann baut sich oft eine große innere Frustration auf, die sich in manchen Situationen auch ganz plötzlich entladen kann. Wenn das passiert, sind Umstehende oft sehr überrascht, dass die nette Person auch anders kann.

Sind Sie zu nett? So finden Sie es heraus

Haben Sie schon manchmal gedacht: Ich bin zu nett für diese Welt? Oder hat Ihnen ein Freund oder eine Freundin gesagt, dass Sie zu nett sind? Dann sind Sie es vielleicht auch – mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen für Ihr Glück und Ihre Zufriedenheit. Wie merkt man, dass die eigene Nettigkeit zu stark ausgeprägt ist? Die folgenden Aspekte können Ihnen einen Hinweis darauf geben:

  • Sie könnennicht Nein sagen: Es fällt Ihnen schwer, anderen eine Bitte abzuschlagen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Ihr Partner eine Bitte an Sie heranträgt oder eine Arbeitskollegen Sie um einen Gefallen bittet. Egal, worum es geht: Sie möchten anderen helfen. Vielleicht haben Sie auch das Gefühl, dass es unfreundlich oder unhöflich wäre, einen Gefallen abzuschlagen.
  • Wenn es um Gefallen geht, sind Sie die erste Anlaufstelle: Haben Sie das Gefühl, dass man Sie wesentlich häufiger um einen Gefallen bittet als andere? Wenn Sie zur zentralen Anlaufstelle im Job und Privatleben für alle geworden sind, die eine Bitte haben, ist das ein deutliches Anzeichen dafür, dass Sie in die Nettigkeitsfalle geraten sind.
  • Sie tun anderen zuliebe Dinge, die Sie gar nicht tun wollen: Vielleicht erledigen Sie etwas für andere, obwohl Ihnen selbst das Wasser schon bis zum Hals steht. Oder Sie lassen sich auf Bitten ein, die Sie eigentlich gerne abschlagen würden. Womit wir wieder beim ersten Punkt wären: Sie können einfach nicht Nein sagen.
  • Sie haben Angst, von anderen weniger gemocht zu werden: Zu nette Menschen haben oft große Angst, mit anderen anzuecken. Sie befürchten, dass sie weniger gemocht werden könnten, wenn sie Nein sagen oder Contra geben.
  • Sie trauen sich nicht, Ihre wahre Meinung zu äußern: Die Angst, in der Gunst anderer zu sinken, kann dazu führen, dass Sie Ihre wahre Einstellung für sich behalten. Sie trauen sich in vielen Situationen nicht, Ihre Meinung zu äußern und dazu zu stehen.
  • Sie wollen es anderen immer recht machen: Auch dieser Punkt hängt mit dem Wunsch nach Gemochtwerden und Harmonie zusammen. Sie machen lieber das, was andere wollen, statt ihre eigenen Ideen einzubringen. Klassisches Beispiel: Ein Freund fragt Sie, welchen Film Sie sich gemeinsam ansehen sollen. Ihre Antwort: „Mir egal, worauf hast du Lust?“.
  • Sie neigen dazu, sich zu rechtfertigen: Haben Sie das Gefühl, Ihre Positionen – wenn Sie sie denn äußern – vor anderen verteidigen zu müssen? Wenn dieses Bedürfnis groß ist, kann die Nettigkeitsfalle dahinterstecken.
  • Lieber Harmonie als Auseinandersetzung: Keine Frage, die meisten Menschen wünschen sich ein harmonisches Zusammenleben mit anderen. Aber um welchen Preis? Manche Menschen stecken stärker als andere zurück, damit es keine Konflikte gibt.
  • Sie wollen andere nicht enttäuschen: Als zu netter Mensch wollen Sie andere nicht enttäuschen – man soll sich auf Sie verlassen können. Auch das kann Sie davon abhalten, anderen eine Bitte auszuschlagen oder ausnahmsweise mal Nein zu sagen, weil Sie keine Zeit (oder einfach keine Lust) haben.

Was Sie tun können, wenn Sie zu nett zu anderen sind

Sind Sie zu nett? Es ist zwar nichts Schlimmes – im Gegenteil –, wenn Sie ein netter Mensch sind. Ausnutzen lassen sollten Sie sich aber nicht, und Sie sollten auch nicht zulassen, dass Ihre Bedürfnisse immer wieder übergangen werden. Was kann man tun, wenn man zu nett zu anderen ist? Vielleicht sind Sie gar nicht sicher, ob Sie etwas verändern sollten – aus Angst, dass Sie dann kein netter Mensch mehr wären. Aber keine Sorge: Sie müssen und sollen nicht zum Egoisten werden, dem andere egal sind.

Gefragt ist ein gesunder Mittelweg. Ihr Ziel sollte es sein, dass Sie sich und Ihre Bedürfnisse wichtig nehmen und trotzdem nett zu anderen sind – weil Sie es wollen, nicht weil Sie sich dazu gezwungen fühlen. Wenn Sie das schaffen, werden Sie wahrscheinlich mehr mit sich im Reinen sein. Es fühlt sich schließlich nicht gut an, nicht Nein sagen und keine Grenzen setzen zu können.

Lernen Sie, Nein zu sagen

Wenn Sie in die Nettigkeitsfalle geraten sind, ist es wichtig, dass Sie lernen, Nein zu sagen. Wenn andere Sie um etwas bitten, sollte es kein Automatismus sein, dass Sie sich dazu bereiterklären. Am Anfang wird es Ihnen womöglich sehr schwerfallen, zur Abwechslung mal Nein zu sagen. Üben sollten Sie es gerade deshalb. Je öfter Sie es machen, desto leichter wird es Ihnen fallen. Dabei müssen Sie nicht unfreundlich sein: Sagen Sie einfach nett Nein, ohne sich zu rechtfertigen.

Setzen Sie anderen Menschen Grenzen

Ebenso wichtig ist es, dass Sie lernen, anderen Menschen Grenzen zu setzen. Vielleicht gibt es jemanden in Ihrem Umfeld, der Sie ausnutzt. Dann schieben Sie dem den Riegel vor, indem Sie nicht mehr mitmachen. Sie schlagen zum Beispiel eine Bitte aus oder sprechen die andere Person darauf an, wie sie sich Ihnen gegenüber verhält. Wenn Sie andere hingegen alles mit sich machen lassen, sind Sie am Ende der große Verlierer.

Differenzieren Sie, wem Sie einen Gefallen tun

Lernen, Nein zu sagen, heißt nicht, dass Sie niemandem mehr einen Gefallen tun dürfen. Vielmehr ist entscheidend, dass Sie differenzieren, wem Sie helfen möchten und wem nicht. Dabei kommt es zum Beispiel auf die Beziehung zu der betreffenden Person an. Hinterfragen Sie deren Motivation – und ob sie dasselbe für Sie tun würde. Seien Sie für die Menschen da, die auch für Sie da sind – im Rahmen des Möglichen natürlich.

Stehen Sie zu Ihren Wünschen

Menschen, die zu nett sind, neigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse, Vorstellungen und Wünsche hintenanzustellen. Das sollten Sie aber nicht tun, sonst sind Sie am Ende unglücklich und unzufrieden. Üben Sie, Ihre Wünsche offen zu äußern und auch dazu zu stehen. Natürlich gibt es Situationen, in denen Kompromisse nötig sind. Sie sollten aber nicht von vornherein nachgeben.

Setzen Sie Prioritäten

Es ist wichtig, dass Sie sich darüber im Klaren werden, wo Ihre Prioritäten liegen. Das sollten Sie im beruflichen und privaten Alltag berücksichtigen. Lassen Sie nicht zu, dass andere Sie direkt oder indirekt immer wieder davon abhalten, Ihre Prioritäten zu erledigen beziehungsweise danach zu leben.

Werden Sie konfliktfreudiger

Die meisten Menschen, die zu nett sind, lieben Harmonie – und hassen Streit, Diskussionen und Konflikte. Sicherlich ist es angenehmer, wenn mit anderen alles harmonisch ist. Konflikte gehören zum Leben aber dazu. Sie zu scheuen, bringt Sie langfristig nicht weiter. Manche Konflikte muss man austragen, um eigene Interessen durchzusetzen und die eigenen Bedürfnisse zu schützen. Lernen Sie deshalb, Konflikte nicht als etwas per se Negatives zu sehen. Wo es sinnvoll ist, lassen Sie sich lieber bewusst darauf ein, um voranzukommen.

Keine Angst vor Ablehnung

Womöglich haben Sie Angst, dass andere Sie ablehnen oder weniger mögen könnten, wenn Sie Grenzen setzen und öfter Nein sagen. Das brauchen Sie aber nicht zu haben, jedenfalls nicht, wenn Sie sich respektvoll verhalten. Viele Menschen respektieren jemand anderen gerade dann, wenn er zu seiner Meinung steht und sich nicht verbiegen lässt, statt anderen immer alles recht machen zu wollen.

Therapeutische Unterstützung suchen

Es kann schwierig sein, langjährige Muster zu durchbrechen. Vielleicht sind Sie schon Ihr Leben lang „zu nett“. Dann kommen Sie alleine womöglich nur bedingt weiter und können davon profitieren, wenn Sie einen Therapeuten haben, der Sie in Ihrer Veränderung unterstützt. Scheuen Sie sich also nicht, sich bei Bedarf therapeutische Hilfe zu suchen.

Nicht ins andere Extrem umschlagen

Manche Menschen, die immer zu nett zu anderen waren, schlagen ins Gegenteil um: Sie kümmern sich ausschließlich um ihre Prioritäten und machen keine Kompromisse mehr, wenn es um ihr Glück geht. Manchmal werden sie dabei zu regelrechten Egoisten. Natürlich ist es wichtig, dass Sie für sich einstehen. Vergessen Sie aber nicht, dass andere Menschen auch Gefühle und Bedürfnisse haben. In manchen Fällen werden Sie sich darüber hinwegsetzen müssen, aber in anderen Situationen wäre es nett, anderen ein Stück weit entgegenzukommen.

Bildnachweis: LightField Studios / Shutterstock.com

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