Wie Sie und das Unternehmen vom Whistleblowing-System profitieren
Für die einen sind sie Helden, für die anderen Verräter – die Rede ist von Whistleblowern, auf Deutsch auch Hinweisgeber genannt. Whistleblower decken interne Missstände auf, was oft im Sinne der Öffentlichkeit ist. Für Unternehmen hingegen können Whistleblower gefährlich werden. Dabei spricht vieles dafür, firmeninterne Whistleblowing-Systeme zu etablieren. Warum sich das für Unternehmen auch freiwillig lohnen kann und wie solche Systeme aussehen können, erfahren Sie hier.
Whistleblowing: Definition
Was ist Whistleblowing? Der Begriff stammt aus dem Englischen und leitet sich von der Formulierung „to blow the whistle“ ab, was auf Deutsch so viel bedeutet wie jemanden verpfeifen. Ein Whistleblower, hierzulande auch als Hinweisgeber bekannt, ist jemand, der Missstände enthüllt, auf illegale Machenschaften oder ein ethisch fragwürdiges Verhalten aufmerksam macht. Die entsprechenden Informationen haben Whistleblower in der Regel im Rahmen ihres Jobs erhalten. Ihr Insiderwissen bringen sie ans Licht der Öffentlichkeit oder geben es an Strafverfolgungsbehörden weiter. Neben diesem externen Whistleblowing gibt es auch internes Whistleblowing, bei dem sich Mitarbeiter an firmeninterne Meldestellen oder Personen wenden, um Informationen weiterzugeben.
Whistleblowing ist nicht dasselbe wie Denunzierung. Während ein Denunziant Geheimnisse weitergibt, um anderen zu schaden oder weil er sich persönliche Vorteile davon verspricht, hat ein Whistleblower ein übergeordnetes Interesse: Er handelt nach einer tiefen inneren Überzeugung, nach der das Verhalten seines Arbeitgebers verwerflich ist. Indem er Strafverfolgungsbehörden oder die Öffentlichkeit darauf aufmerksam macht, möchte er dieses Gebaren stoppen. Es handelt sich zwar genau genommen um Geheimnisverrat, aber aus höheren, ehrbaren Motiven.
Persönliche Bereicherung steht bei Whistleblowing nicht im Vordergrund, im Gegenteil: Die meisten Whistleblower riskieren sehr viel, wenn sie Geheimnisse ihres Arbeitgebers öffentlich machen. Ihnen droht nicht nur die Kündigung, der Arbeitgeber kann auch strafrechtlich gegen sie vorgehen oder ihren Ruf schädigen.
Geringer Schutz für Whistleblower
In Deutschland sind Whistleblower ebenso wie in vielen anderen Ländern unzureichend geschützt. Demgegenüber hat die Treuepflicht, die Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber haben, hierzulande einen hohen Stellenwert: Arbeitnehmer dürfen grundsätzlich nichts tun, was ihrem Arbeitgeber schaden könnte. Auch dadurch drohen ihnen erhebliche Nachteile, wenn sie geheime Informationen weitergeben.
Als einer der ersten Whistleblower überhaupt gilt der Hamburger Journalist Carl von Ossietzky, der im Jahr 1929 über die geheime Aufrüstung der Reichswehr berichtet hatte. Das war im Zuge der Demilitarisierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg verboten. Zu den bekanntesten Whistleblowing-Beispielen gehören die Fälle der US-Amerikaner Edward Snowden und Chelsea Manning. Snowden hat früher bei den Geheimdiensten CIA und NSA gearbeitet und dabei herausgefunden, dass die USA (und Großbritannien) Telekommunikation und Internet weltweit massiv überwacht haben. Er ging mit seinen brisanten Informationen an die Öffentlichkeit. Nach seiner Flucht aus den USA lebt er inzwischen in Moskau.
Chelsea Manning gehörte den US-Streitkräften an. Die IT-Expertin leitete geheime Dokumente und Videos über die Kriege im Irak und in Afghanistan an die Enthüllungsplattform Wikileaks weiter, nachdem sie sich zuvor erfolglos an mehrere Medien gewandt hatte. Manning wurde verhaftet, ist aber inzwischen aus der Haft entlassen.
Warum Whistleblowing wichtig für die Gesellschaft ist
Whistleblowern drohen durch ihre Enthüllungen weitreichende Repressionen, wie die Fälle von Edward Snowden und Chelsea Manning eindrücklich gezeigt haben. Dass es trotzdem immer wieder zu Whistleblowing kommt, ist für die Gesellschaft positiv. In Whistleblowing-Fällen geht es schließlich darum, Straftaten oder anderes verwerfliches Verhalten von Unternehmen oder Behörden ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen.
Durch Whistleblowing können illegale Praktiken gestoppt werden, die auf anderem Wege nicht zu stoppen wären. Gerade Unternehmen, Organisationen oder Behörden, die sich ganz bewusst gesetzeswidrig verhalten, haben kein Interesse daran, ihr Verhalten zu ändern. Oft können nur öffentlicher Druck und die Strafverfolgung, die durch Whistleblowing droht, etwas ausrichten. Dadurch können Menschen direkt oder indirekt geschützt werden – und die Täter müssen sich ihren Taten mit allen Konsequenzen stellen. Es ist somit auch eine Gerechtigkeitsfrage, ob illegale Machenschaften aufgedeckt werden oder nicht.
Kann Whistleblowing für Unternehmen Vorteile haben?
Whistleblowing hat, zumindest bei vielen Unternehmen, einen schlechten Ruf. Naturgemäß haben Firmen kein Interesse daran, dass Geschäftsgeheimnisse nach außen dringen – erst recht nicht, wenn sich dabei herausstellt, dass Unternehmen gesetzeswidrig gehandelt haben. Vielen Firmen sind Whistleblower deshalb ein Dorn im Auge. Kommt es zu einer entsprechenden Veröffentlichung, tun manche Verantwortlichen alles, um den Ruf dieser Person zu schädigen – das soll Schaden vom eigenen Ruf abhalten.
Allerdings kann Whistleblowing auch für Unternehmen etwas Positives mit sich bringen – vorausgesetzt, sie wissen, wie sie sich interne Hinweise zunutze machen können. Wenn es eine Anlaufstelle in der Firma gibt, an die sich Hinweisgeber wenden können, kann das im besten Fall Schaden vom Unternehmen abwenden. Das gilt zumindest dann, wenn es um illegale Praktiken geht, die nicht auf höchster Ebene toleriert werden oder sogar von dort aus initiiert werden. Firmen haben durch interne Hinweise die Chance, fragwürdigen Verhaltensweisen von Mitarbeitern ein Ende zu bereiten. Das schützt den Ruf von Unternehmen und beugt strafrechtlichen Konsequenzen vor, die denkbar wären, falls die entsprechenden Praktiken öffentlich würden.
Grundsätzlich sind Arbeitnehmer in Deutschland – zumindest bislang – dazu verpflichtet, sich zuerst an den Arbeitgeber zu wenden, wenn ihnen verwerfliches Verhalten auffällt. Erst, wenn trotz dieser internen Meldung nichts passiert, dürfen Whistleblower sich an Strafverfolgungsbehörden wenden oder an die Öffentlichkeit gehen. Für Unternehmen ist das eine Chance, denn wenn Beschäftigte sich an dieses Prozedere halten, haben die Verantwortlichen die Gelegenheit, interne Missstände zu beseitigen. Wenn die Verantwortlichen nach einer entsprechenden Meldung tätig werden, kann sich das positiv auf den Erfolg und die weitere Entwicklung des Unternehmens auswirken. Zugleich sinkt das Risiko, dass illegale Praktiken diesen Erfolg torpedieren.
Was ist ein Whistleblowing-System?
Manche Unternehmen haben ein Whistleblowing-System eingeführt. Gemeint ist ein internes System zum Compliance-Management, über das Mitarbeiter oder andere Personen Missstände oder Straftaten melden können. Dabei gibt es oft mehrere Meldewege, zum Beispiel:
- digital über ein Online-Formular,
- persönlich bei einer Ombudsperson oder Mitarbeitern der Compliance-Abteilung
- oder über eine Whistleblowing-Hotline.
Häufig haben Mitarbeiter oder andere Hinweisgeber dabei die Möglichkeit, ihre Informationen anonym weiterzugeben. Das kann Hinweisgeber bestärken, tatsächlich eine Meldung zu machen, weil sie so keine Nachteile befürchten müssen.
Geht eine Meldung ein, wird sie an die zuständige(n) Stelle(n) im Unternehmen weitergeleitet. Die damit befassten Mitarbeiter werden daraufhin tätig und gehen dem Hinweis nach. Das geschieht in enger Abstimmung mit der Rechtsabteilung beziehungsweise Compliance-Abteilung unter Berücksichtigung des Datenschutzes. Wenn sich die Vorwürfe erhärten, liegt es an den Verantwortlichen im Unternehmen, das Problem zu lösen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.
Müssen Firmen ein Whistleblowing-System haben?
Müssen Unternehmen Whistleblowing-Systeme haben? Gegenwärtig lautet die Antwort noch: nein, müssen sie nicht. Das könnte sich allerdings auf absehbare Zeit ändern, zumindest für größere Firmen. Schon im Jahr 2019 wurde eine Richtlinie der Europäischen Union beschlossen, durch die Whistleblower besser geschützt werden sollen. Vorgesehen ist unter anderem die Einführung von internen Meldesystemen in Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern oder einem gewissen Umsatz sowie in größeren Kommunen. Ebenso soll es externe Meldesysteme auf staatlicher Seite geben.
Es liegt an den Mitgliedsstaaten, die EU-Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Hieran scheitert es allerdings bislang in Deutschland. Die Regierung kommt seit Jahren nicht voran mit der Umsetzung der EU-Richtlinie; das geplante Hinweisgeberschutzgesetz ist zuletzt im Februar 2023 im Bundesrat gescheitert. Daraufhin hat die Europäische Kommission Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt.
Für Firmen bedeuten diese Entwicklungen, dass sie sich zumindest in bestimmten Fällen darauf einstellen können, dass ein internes Meldesystem für Whistleblowing künftig Pflicht ist. Wenn das neue Whistleblowing-Gesetz beschlossen wird, werden solche Meldesysteme in vielen Unternehmen vorgeschrieben sein.
Warum Whistleblowing-Systeme im Interesse von Firmen liegen
Manche Unternehmen befassen sich längst mit den möglichen neuen Regelungen zum Thema Whistleblowing im Arbeitsrecht: Sie klären rechtliche Fragen und führen interne Meldesysteme ein. Ein solches Vorgehen ist vor allem für größere Firmen grundsätzlich empfehlenswert. Zwar kann es sein, dass am Ende – wenn das Whistleblowing-Gesetz beschlossen wird – noch etwas nachjustiert werden muss. Dass interne Whistleblowing-Systeme für bestimmte Unternehmen Pflicht sein werden, ist aber abzusehen.
Es liegt dabei auch im Interesse von Firmen, entsprechende Meldesysteme einzuführen. Wenn die Mitarbeiter intern auf Missstände aufmerksam machen können, ohne dafür Strafen oder andere Konsequenzen befürchten zu müssen, ist das im Sinne von Unternehmen. Wenn die Beschäftigten das Gefühl haben, dass ihr Input erwünscht ist und ihre Informationen ernstgenommen werden, sinkt das Risiko, dass sie sich alternativ an Medien oder Strafverfolgungsbehörden wenden. Stattdessen haben Firmen die Chance, intern für die nötigen Veränderungen zu sorgen. Unternehmen werden geschützt, wenn Mitarbeiter interne Meldesysteme nutzen.
Entscheidend ist, bei der Einführung eines internen Whistleblowing-Systems mit Bedacht vorzugehen. Anonymität etwa ist ein wichtiger Aspekt, ebenso der Datenschutz. Es kommt auch darauf an, wie die Geschäftsführung und Verantwortliche auf oberen Etagen mit dem Thema Whistleblowing umgehen. Wenn das Management Hinweisgeber ermutigt und tatsächlich offen für deren Rückmeldungen ist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass ein Whistleblowing-System auch wirklich genutzt wird.
Whistleblowing: Bei vielen Unternehmen besteht Handlungsbedarf
Beim Thema Whistleblowing besteht bei vielen Unternehmen Handlungsbedarf. Bislang sind Unternehmen in Deutschland vergleichsweise stark geschützt; Whistleblower haben juristisch oft das Nachsehen. Das wird sich durch die Umsetzung der Whistleblowing-Richtlinie der EU ein Stück weit ändern. Die Whistleblowing-Richtlinie setzt außerdem in vielen Unternehmen voraus, dass interne Meldesysteme eingerichtet werden. Unternehmen, die das mutmaßlich betreffen wird, werden am besten heute schon tätig.
Noch etwas könnte sich beim Thema Whistleblowing bald ändern: Bislang ist es so, dass Arbeitnehmer sich zuerst an den Arbeitgeber wenden müssen, wenn ihnen Missstände auffallen. Dadurch hat der Arbeitgeber die Chance, zu handeln. Erst, wenn nichts passiert, dürfen Hinweisgeber sich an Strafverfolgungsbehörden oder Medien wenden. Wenn die Whistleblowing-Richtlinie durch ein nationales Gesetz umgesetzt wird, ist dieses Prozedere womöglich nicht mehr verpflichtend.
Die EU-Richtlinie sieht vor, dass die Nutzung interner Meldestellen optional für Hinweisgeber ist. Sie können sich auch direkt an eine externe, staatliche Meldestelle wenden. Ebenso können sie ihre Hinweise öffentlich machen, wenn das Risiko der Verschleierung besteht oder das öffentliche Interesse gefährdet ist. In der Zukunft wird es für Firmen somit noch wichtiger sein, dass sich Mitarbeiter vertrauensvoll zuerst an interne Kanäle wenden, bevor sie mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit gehen.
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