Aussteiger werden – wie geht das eigentlich?

Viele Menschen haben den ewigen Trott satt: Viel zu früh aufstehen, auf dem Weg zur Arbeit im Stau stehen oder sich in eine übervolle S-Bahn quetschen. Zu lange arbeiten, zu wenig Freizeit haben, zu spät ins Bett gehen – und am nächsten Tag geht es direkt wieder von vorne los. Vor diesem Hintergrund kann der Wunsch nach einer alternativen Lebensweise aufkommen. Nicht Wenige wünschen sich, auszusteigen – aber wie geht das? Und wie realistisch ist ein Leben als Aussteiger?

Ein Mann vor einer Hütte im Wald, er möchte Aussteiger werden

Definition: Was ist ein Aussteiger?

Den Begriff des Aussteigers oder vom Aussteigen kennt wohl jeder. Aber was genau versteht man darunter eigentlich? Viele Menschen denken wahrscheinlich sofort an jemanden, der sein bisheriges Leben hinter sich gelassen hat und nun fernab der Zivilisation lebt und sich selbst versorgt – ein bisschen so, wie der US-amerikanische Schriftsteller Henry David Thoreau seine Zeit in einer winzigen Hütte am Walden Pond in „Walden“ beschrieben hat.

Mit dem Aussteigen ist meist ein radikaler Bruch verknüpft. Aussteiger ändern ihren Lebensstil häufig ebenso grundlegend wie ihre Verhältnisse. Trotzdem kann Aussteigen vieles bedeuten und ist damit letztlich eine Frage der individuellen Definition. Ein grundlegender Umbruch kann schließlich auch bedeuten, dass ein IT-Manager, der vorher 80 Stunden in der Woche gearbeitet hat, seine Karriere an den Nagel hängt und ganz bewusst „nur noch“ einen regulären Job in Vollzeit arbeitet.

Mitunter geht mit dem Aussteigen einher, dass man der Gesellschaft den Rücken kehrt. Aussteigen kann aber auch nur auf den Job bezogen sein. Solche Aussteiger leben dann oft weiterhin in ihrer bisherigen Wohnung oder ihrem Haus, haben sich aber beruflich von Grund auf neu orientiert.

Aussteiger-Leben: Verschiedene Arten des Aussteigens

Daraus folgt, dass es nicht den einen Weg beim Aussteigen gibt. Wie genau der Ausstieg aussieht, ist so individuell wie der Mensch, der zum Aussteiger wird. Manche Aussteiger fangen ganz alleine von vorne an; sie verkaufen zum Beispiel nahezu all ihr Hab und Gut und reisen fortan in einem Wohnmobil um die Welt. Andere wagen zu zweit oder sogar mit Kindern einen Neuanfang, vielleicht als Selbstversorger auf einem Bauernhof oder in einem kleinen Häuschen im Ausland. Und wieder andere steigen „nur“ aus dem Job aus, der sie kaputtgemacht hat, wohnen aber vielleicht weiterhin mit ihrer Familie in der Großstadt.

Auszusteigen kann bedeuten, nicht zu arbeiten, muss es aber nicht. Manche Aussteiger haben sich vor dem Ausstieg Rücklagen angesammelt, von denen sie nun leben. Andere nehmen Gelegenheitsjobs an, wenn das Geld knapp wird. Andere Aussteiger sind selbstständig als digitale Nomaden tätig. Es gibt sogar Aussteiger, die viel Geld verdienen, aber trotzdem ganz bewusst in einfachen Verhältnissen leben.

Fast allen Aussteigern ist gemein, dass sie ihren Besitz radikal minimiert haben. Sie haben sich dem unbedachten Konsum ganz bewusst verweigert und besitzen nur noch das Nötigste, um den Fokus auf das richten zu können, was (ihnen) wirklich wichtig ist: Erlebnisse und Beziehungen zu anderen Menschen. Viele Aussteiger verstehen unter Glück eher, der Sonne beim Untergehen zuzuschauen als in einem luxuriösen Anwesen mit allen Annehmlichkeiten zu leben. Gemeinsam ist Aussteigern also unterm Strich lediglich, dass sie ihr Leben grundlegend verändert haben – das Wie kann von Aussteiger zu Aussteiger sehr unterschiedlich aussehen.

Aussteigen aus dem System: Warum es sich viele Menschen wünschen

Viele Menschen träumen vom Aussteigen. Das kann viele Gründe haben, hängt aber meist mit einem typisch hektischen, übervollen Alltag zusammen. Das ewige Hamsterrad, das sich durch einen Vollzeitjob, häusliche, familiäre und andere Verpflichtungen ergibt, zermürbt viele auf Dauer. Viele Aussteiger waren mit ihrem Leben schon lange unzufrieden, bevor sie einen Neuanfang gewagt haben. In ihrer bisherigen Lebensweise haben sie keine Zukunft mehr gesehen.

Das Aussteigen wird oft als Flucht aus dem Alltag betrachtet, und ein Stück weit ist das in vielen Fällen tatsächlich zutreffend. Das heißt aber im Umkehrschluss nicht unbedingt, dass sich alle Aussteiger in eine Illusion hineingeben. Viele Aussteiger fühlen sich, zumindest nach einer gewissen Zeit, sehr erfüllt in ihrem neuen, anderen Leben.

Wohl die meisten Menschen, die über das Aussteigen nachdenken, wünschen sich mehr Zeit. Sie möchten ihr Leben selbstbestimmt leben statt sich für einen Arbeitgeber kaputtzumachen, für den sie permanent erreichbar sein müssen. Sie haben keine Lust mehr auf einen Vollzeitjob mit regelmäßigen Überstunden, den sie brauchen, um die Miete zu stemmen und Kredite abzubezahlen, bei dem ihnen aber kaum noch Zeit für das bleibt, was ihnen wirklich wichtig ist.

Der erste Schritt hin zum Leben als Aussteiger ist oft die Erkenntnis, dass man nur dieses eine Leben hat – und das man selbst entscheiden sollte, wie man es am besten lebt, statt sich von der Gesellschaft diktieren zu lassen, wie das Leben ablaufen sollte. Manche Aussteiger haben auch keine Lust mehr, in einer dichtbesiedelten Gegend zu leben – jederzeit umgeben von Tausenden Menschen, aber fernab der Natur.

Wer das Aussteigen wagt, möchte nicht mehr auf die ferne Zukunft warten, um sein Leben so gestalten zu können wie er es sich wirklich wünscht. Er hofft nicht darauf, dass sich die Dinge wie von Zauberhand von selbst zum Positiven verändern, sondern treibt den Wandel selbst voran.

Möglichkeiten: Wie kann man zum Aussteiger werden?

Vom Aussteiger-Leben träumen ist das eine – es tatsächlich zu realisieren ist hingegen eine Herausforderung. Es ist auf der anderen Seite aber auch nicht unmöglich, sein Leben radikal zu verändern und selbstbestimmter zu leben. Wer über das Aussteigen aus dem System nachdenkt, hat verschiedene Möglichkeiten. Welche sich tatsächlich eignen könnten, müssen Sie aber letztlich individuell bewerten.

Die entscheidende Frage vor dem Aussteigen aus der Gesellschaft ist die nach der Finanzierung. Von irgendetwas müssen Sie schließlich als Aussteiger leben. Selbst wenn Sie Ihre Lebenshaltungskosten drastisch verringern – ganz umsonst werden Sie kaum leben können, wenn Sie nicht in der glücklichen Lage sind, nennenswerte Rücklagen zu besitzen. Befassen Sie sich also im Vorfeld unbedingt damit, wie Sie auch als Aussteiger noch genügend Geld zum Leben haben können.

Besonders drängend ist die finanzielle Frage, wenn Sie als Aussteiger gar nicht mehr arbeiten möchten. Dann brauchen Sie entweder die schon erwähnten Rücklagen oder einen Sponsor, auf dessen Kosten Sie leben – zum Beispiel eine Person, die Sie kostenlos bei sich leben lässt, wenn Sie im Gegenzug im Haushalt helfen oder bestimmte Dinge für sie erledigen. Auch das ist natürlich eine Form der Arbeit, auch wenn Sie dafür nicht unmittelbar einen Lohn erhalten.

Im Ausland ist das Leben oft günstiger

Einfacher ist das Aussteigen, wenn Sie noch in irgendeiner Form arbeiten möchten. Vielleicht sind Sie selbstständig (oder können sich vorstellen, sich selbstständig zu machen) und können einige Stunden in der Woche etwas machen, das Ihnen das nötige Geld einbringt. Die Möglichkeiten hierbei sind schier unbegrenzt: Sie können selbstgemachte Kleidung auf Etsy verkaufen, zum digitalen Assistenten werden oder auch nur von Zeit zu Zeit arbeiten, wenn Ihre Reserven knapp werden.

Worum Sie nicht herumkommen werden: Ihre Ausgaben radikal zu verringern. Wenn Sie nicht bereit sind, auf alles Entbehrliche zu verzichten und nur mit den Dingen zu leben, die Sie wirklich brauchen, werden Ihre Ausgaben sicherlich zu hoch sein, um ein Aussteiger-Leben finanziell stemmen zu können. Das gilt zumindest, wenn Sie kaum noch oder gar nicht mehr arbeiten möchten.

Viele Aussteiger zieht es ins Ausland, weil die Lebenshaltungskosten besonders in vielen Entwicklungsländern deutlich geringer sind als in Deutschland. Das kann eine Überlegung wert sein, wenn Sie nicht familiär zu stark gebunden sind, um auszuwandern.

Aussteiger-Tipps: Was Sie bedenken sollten, wenn Sie über Aussteigen nachdenken

Die Entscheidung, auszusteigen, sollte immer das Ergebnis einer reiflichen Überlegung sein. Brechen Sie nicht einfach spontan Ihre Zelte ab und lassen Sie alles Bisherige hinter sich. In Einzelfällen kann das zwar funktionieren, aber Sie machen sich das Aussteigen damit unnötig schwer.

Im Vorfeld sollten Sie sich möglichst viel Zeit nehmen, um über die verschiedenen Fragen nachzudenken, die sich angehenden Aussteigern stellen. Eine Frage ist zum Beispiel, ob Sie zum Aussteigen wirklich bereit sind – vor allem, wenn Sie mit radikal weniger Hab und Gut auskommen müssen. Eine Testphase kann eine gute Idee sein. Vielleicht machen Sie mal vier Wochen lang einen Urlaub, bei dem Sie Ihr mögliches künftiges Aussteiger-Leben simulieren. So haben Sie die Sicherheit, nicht zu tief zu fallen, wenn es nicht Ihren Vorstellungen entspricht.

Keine gute Ausgangslage ist es, wenn Sie sich vom Aussteigen erwarten, immer glücklich zu sein und keine Probleme mehr zu haben. Im Gegenteil: Sie sollten sich darauf einstellen, dass Sie das eine oder andere Tief durchmachen müssen, bevor Sie es als Aussteiger schaffen. Auszusteigen aus der Gesellschaft ist für die meisten zumindest anfangs eine stete Abfolge von Trial and Error. Bis Sie Ihren Weg gefunden haben, kann es eine Weile dauern. Und Ihren Problemen entkommen Sie nicht automatisch, nur weil Sie in Ihrer neuen Mini-Hütte auf Mallorca sitzen.

Bevor Sie Fakten schaffen, sollten Sie auch über mögliche Alternativen zum Aussteiger-Leben nachdenken. Vielleicht gibt es etwas, das Sie verändern könnten, wodurch Ihr Wunsch nach einem Ausstieg nicht mehr so akut wäre? Das heißt nicht, dass das Aussteigen nicht am Ende die beste Lösung für Sie sein könnte. Manchmal geht es aber auch anders.

Machen Sie sich klar, wo Ihre Prioritäten liegen

Es ist essenziell, dass Sie wissen, was Ihnen im Leben wichtig ist. Damit steht und fällt Ihre Aussteiger-Planung. Nur, wenn Sie Ihre Prioritäten kennen, können Sie den Ausstieg entsprechend planen. Überlegen Sie auch: Sind Ihre Vorstellungen realistisch? Wie könnte die Umsetzung konkret aussehen? Sie brauchen in jedem Fall einen detaillierten Plan. Er sollte die Frage klären, wo, wie und wovon Sie als Aussteiger leben werden. Erfahrungsberichte anderer Aussteiger können Ihnen als Inspiration dienen, auch wenn Sie nicht davon ausgehen sollten, dass Sie die Vorgehensweise anderer eins zu eins kopieren können.

Wenn Sie weniger arbeiten möchten, kann es eine gute Idee sein, sich schon vorher ein sparsameres Leben anzugewöhnen. Um als Aussteiger leben zu können, ist eine Abkehr vom Konsumdenken in vielen Fällen unerlässlich. Wenn es Ihnen gelingt, Ihre Ausgaben drastisch zu senken, können Sie auch mit einigen Hundert Euro im Monat um die Welt reisen oder für dasselbe Geld in einem kleinen Häuschen im Ausland leben.

Es gibt Ihnen Sicherheit, wenn Sie einen Plan B in der Hinterhand haben. Was, wenn es nicht so läuft wie erhofft? Eine Garantie haben Sie natürlich nie. Aussteigen erfordert immer viel Mut und an einem gewissen Punkt müssen Sie es einfach machen, wenn Ihnen der Ausstieg gelingen soll. Machen Sie sich klar, dass das Flexibilität erfordert und Sie möglicherweise einen langen Atem haben müssen, bis Sie das Leben Ihrer Träume leben können.

Bildnachweis: Bogdan Sonjachnyj / Shutterstock.com

Nach oben scrollen