Ankereffekt als Marketinginstrument richtig verstehen
Der Ankereffekt dient dazu, die Entscheidung von Menschen zu beeinflussen, ohne dass diese den Einfluss bewusst realisieren. Der Begriff stammt aus der Kognitionspsychologie und wird vor allem im Marketing genutzt. Ankereffekt, auch als Ankerheuristik oder Anchor-Effect bekannt, begegnet uns im täglichen Leben immer wieder. Allerdings ist sich kaum jemand bewusst, dass er auf diese Weise manipuliert wird.
Mithilfe des Ankereffekts werden Kunden in ihrer Kaufentscheidung maßgeblich beeinflusst. In diesem Beitrag erfahren Sie interessante Fakten, wie die Ankerheuristik funktioniert und wo sie vor allem eingesetzt wird. Sie können sie auch als Privatperson nutzen, beispielsweise bei Lohnverhandlungen oder wenn Sie selbst nicht mehr benötigte Dinge verkaufen möchten.
Ankereffekt – Definition und Beispiele
Der Anchor-Effect fand in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts erstmals Erwähnung. Daniel Kahneman und Amos Tversky, Psychologen aus den USA, hatten das Phänomen entdeckt und umfassend untersucht. Sie kamen zu dem Schluss, dass Umgebungsfaktoren Menschen beeinflussen, ohne dass diese sich dessen bewusst sind. Dabei muss es sich nicht grundsätzlich um entscheidungsrelevante Informationen handeln.
Interessant an der Ankerheuristik ist vor allem, auf welche Weise unbewusste Anker wirken. Die zuvor genannten Psychologen fanden in einem Experiment heraus, wie der Ankereffekt auf das menschliche Gedächtnis wirkt. Sie baten die Versuchsteilnehmer, ein Glücksrad zu drehen. Danach folgte eine Schätzfrage: Wie viele Staaten gibt es in Afrika? Es zeigte sich, dass jene Personen, die eine hohe Zahl am Glücksrad erzielten, die Anzahl der afrikanischen Staaten höher schätzen als diejenigen, die eine tiefe Zahl erzielten.
Das macht dann 2,99 Euro bitte! – Wie sinnvoll sind gebrochene Preise?
Bestimmt haben Sie sich auch schon gefragt, welchen Sinn Preise wie 2,99 Euro für eine Handcreme oder 999 Euro für eine Ferienreise machen und wie diese zustande kommen. Hier haben wir ein typisches Beispiel für einen Ankereffekt. Man spricht in solchen Fällen von Schwellenpreisen oder gebrochenen Preisen. Sie verleiten zum Kauf oder zur Buchung, weil sie den Eindruck vermitteln, ein Schnäppchen zu machen. Zwei Wochen Kanaren für einen Preis im dreistelligen Bereich? Das überlegen sich Ferienhungrige nicht lange und greifen zu. Würde die gleiche Reise 1000 Euro kosten, oder gar 1010 Euro, nimmt das Unterbewusstsein die Differenz deutlich höher wahr, als sie eigentlich ist.
Mit Ankereffekt teure Produkte an den Kunden bringen
Verkaufen Sie Konsumgüter oder Dienstleistungen, kann das Wissen um den Ankereffekt im Job ein großer Vorteil gegenüber den Mitbewerbern sein. Natürlich genügt es nicht allein, zu verstehen, dass es den Anchor-Effekt gibt und welche Auswirkungen er hat, Sie müssen ihn auch richtig anwenden können.
Fakt ist: Der Erfolg dieser unterschwelligen Manipulation ist ein gut erforschtes psychologisches Phänomen. Im weitesten Sinne lässt sie sich mit Suggestionen vergleichen.
Selbst teure Produkte verkaufen sich besser, wenn ein entsprechender Anker ins Spiel gebracht wird.
Nachfolgend ein Beispiel:
Sie haben eine hochwertige Uhr geerbt und möchten diese einem Antiquitätenhändler verkaufen. Erwähnen Sie im Erstgespräch eine Summe von 10.000 Euro, wird er Ihnen vielleicht 8.000 Euro anbieten. Fragen Sie dagegen, ob diese Uhr wohl 8.000 Euro wert sei, könnte sein Angebot lediglich 6.000 betragen.
Das Ganze funktioniert auch umgekehrt. Nun stellen Sie sich vor, Sie wären der besagte Händler und möchte die Uhr für 10.000 Euro weiterverkaufen. Hier bieten sich verschiedene Möglichkeiten, die Ankerheuristik zu nutzen:
- Sie schreiben die Uhr mit 9.999 Euro an und legen Sie sie ins Schaufenster oder die Vitrine. Ein Liebhaber wird sie als Schnäppchen wahrnehmen und zuschlagen.
- Ein weiterer Ankereffekt mit gleicher Wirkung: Erwähnen Sie im Verkaufsgespräch eine höhere Zahl. Dabei ist es nebensächlich, auf was sich diese bezieht. („Gut, dass Sie heute kommen, gestern war viel Gedränge in der Stadt. 20.000 Leute sollen auf dem Seefest gewesen sein.“)
- Schreiben Sie die Uhr mit 11.000 Euro an, streichen Sie den Preis durch und bieten nun den Schnäppchenpreis von 10.000 Euro.
Eine beliebte Methode, um den Ankereffekt im Verkauf zu nutzen, ist der, neben Produkten mit niedrigen und mittleren Preisen auch einige wenige teure Produkte auszustellen. Diese machen zwar das billige Sortiment nicht attraktiver, aber lassen Kunden vermehrt zu den Produkten im mittleren Preissegment greifen.
Auch dazu ein Beispiel
Ein Modegeschäft führt hauptsächlich Jeans aus Massenproduktion. Eine dieser Hosen, ein No-Name-Produkt, kostet 20 Euro. Außerdem sind Markenjeans für 70 Euro im Sortiment. Die meisten Kunden freuen sich über ein Schnäppchen und greifen zu den günstigen Hosen. Nun muss sich der Unternehmer etwas einfallen lassen.
Ankerheuristik kann hier den Umsatz deutlich steigern: Jetzt werden im Schaufenster und gut sichtbar im Ladenlokal einige Designerjeans für 180 Euro präsentiert. Deutlich mehr Kunden greifen plötzlich zu den Markenjeans und freuen sich, gegenüber den Designermarken echte Schnäppchen gemacht zu haben.
Eine andere Methode, den Anchor-Effekt erfolgreich einzusetzen, ist, mit Rabatten zu arbeiten, wie folgendes Beispiel zeigt:
Eine Gesichtscreme, die 10 Euro kostet, verkauft sich nicht so gut, wie erhofft. Sie möchten diese deshalb günstiger anbieten. Was denken Sie, in welchem Fall die Kunden eher zugreifen: Wenn auf dem Schild steht „2 Euro Rabatt“ oder „20 Prozent Rabatt“. Der Preis ist bei beiden Varianten der gleiche, nämlich 8 Euro. Jedoch werden die 20 % Rabatt aufgrund der höheren Zahl deutlich mehr Käufer ansprechen.
Wie funktioniert der Anchor-Effekt?
Der psychologische Effekt der Ankerheuristik ist verblüffend: Die ständig auf uns einwirkenden Informationen haben Auswirkungen auf Entscheidungen, die wir treffen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Gehörten und dem Gelesen und unserer aktuellen Handlung gibt.
Laut Psychologen gibt es keine Möglichkeit, sich vor dem Ankereffekt zu wappnen. Er wirkt auch bei Personen, die damit vertraut sind und ihn sogar selbst anwenden. Vielleicht schaffen Sie es, gleich nachdem Sie diesen Beitrag gelesen haben, einen Stadtbummel zu unternehmen und all den verlockenden vermeintlichen Schnäppchenpreisen zu widerstehen. Beim nächsten Einkauf oder der nächsten Buchung einer Dienstleistung, werden auch Sie wieder manipuliert. Dabei werden unterschiedliche Methoden eingesetzt.
Beliebte Anwendungen der Ankerheuristik
Die Palette an möglicher Ankerheuristik ist so vielfältig, dass keiner daran vorbeikommt. Nachfolgend weitere erfolgreiche Methoden:
- Online-Partnerbörsen bieten die Möglichkeit, den Mitgliederbeitrag monatlich gegen einen kleinen Aufpreis zu zahlen oder jährlich den vollen Preis zu überweisen. Häufig erscheint die Jahresgebühr zu hoch, sodass ein monatliches Abo als Schnäppchen erscheint.
- Mitunter werden Neukunden mit saftigen Rabatten bis zu 50 Prozent belohnt. Kündigen sie das Abo nicht rechtzeitig, wird es automatisch verlängert, und zwar zum vollen Preis.
- Beliebt sind Sammelordner mit Sammelkarten und kleinen Geschenken zu einem bestimmten Themenbereich. Ob Stricken, Kochen oder Handwerken: Der erste Ordner ist oft gratis oder für eine sehr geringe Summe zu haben. Ab dem zweiten fällt der reguläre Preis an. Wer einmal anfängt, zu sammeln, kann meist schlecht damit aufhören.
- Selbst Markennamen werden als Anker eingesetzt. Denken wir dabei nur an eine bestimmte Kaffeekapselmarke. Gekonnt vermarktet, fühlen sich die Konsumenten wohl, wenn sie das Produkt konsumieren und zahlen gerne den vergleichsweise hohen Preis.
- Werbegeschenke und die Übernahme der Versandkosten haben im Versandhandel eine wichtige Ankerfunktion. Eine hübsche Handtasche oder zwei lustige Kaffeetassen als Belohnung, sind für viele Kunden ein Anreiz, etwas zu bestellen. Fallen keine zusätzlichen Kosten für Versand und Verpackung an, ist dies ein weiteres Argument, zuzugreifen.
- Sammelpunkte werden im Lebensmittelbereich gerne eingesetzt, um Kunden zu binden: Auf den Packungen sind sogenannte Treuepunkte zu finden. Je nachdem, wie viele Sie sammeln, können Sie sich gratis, oder deutlich reduziert, eine Prämie aussuchen. Das gleiche Prinzip kennen wir aus Supermärkten, wo oftmals Sammelmarken an die Käufer verteilt werden.
Nicht jeder Ankereffekt passt zu jeder Situation
Vielleicht achten Sie künftig mehr auf typische Ankerheuristik. Dann wird Ihnen auffallen, dass beispielsweise teure Kleidung oder Möbel nie mit Preisen, die hinter dem Komma eine 99 stehen haben, ausgezeichnet werden. Käufer würden unbewusst minderwertige Produkte damit verbinden. Aber selbst bei mittelpreisigen Produkten ist Vorsicht geboten. Hier werden eher Prozente eingesetzt, um Kunden zum Kauf zu bewegen.
Besonders häufig wird mit Zahlen gearbeitet. Das funktioniert so unauffällig, dass nur unser Unterbewusstsein darauf reagiert. Bei welchem Friseur würden Sie eher einen Termin buchen und für einen tollen Haarschnitt gerne etwas mehr bezahlen: Bei „Coiffeur73“ oder bei „Coiffeur4“?
Ankereffekte im Job für persönliche Vorteile nutzen
Den psychologischen Hintergrund des Ankereffekts können Sie auch für sich persönlich verwenden, wenn Sie kein Unternehmer sind. Im Job kommt Ihnen der Anchor-Effekt vor allem dann zugute, wenn es um Ihr Gehalt geht. Die Frage, wie viel Sie gerne verdienen würden, kommt in beinahe jedem Jobinterview. Psychologen empfehlen, hier etwas höher anzusetzen, um Verhandlungsspielraum zu lassen. Natürlich dürfen Sie nicht übertreiben.
Die Ankerheuristik funktioniert dann am besten, wenn Sie keine runde Summe nutzen. Sagen Sie niemals, dass Sie gerne 50.000 Euro verdienen würden. Besser: Sie stellen sich 49.500 Euro als Einstiegsgehalt vor.
Was löst diese Forderung bei dem Personaler aus? Er realisiert einerseits, dass Sie wissen, was Sie fordern dürfen, und anderseits wirkt sich Ihre Gehaltsvorstellung auf die folgende Verhandlung für Sie positiv aus.
Ein Beispiel:
Der Personalverantwortliche geht in das Jobinterview mit einer klaren Vorstellung: Er möchte maximal 47.000 Euro jährlich zahlen. Schlagen Sie 50.000 vor, wird er Ihnen erwidern, dass er 47.000 anbieten kann. Anders sieht es bei einer Lohnvorstellung von 49.500 aus: Sehr wahrscheinlich erhalten Sie in diesem Fall mindesten 47.500 Euro. Möglicherweise holen Sie auf diese Weise sogar noch mehr heraus, da nun in 500-er Schritten verhandelt wird.
Fazit: Der Ankereffekt ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Solange er nicht genutzt wird, um Kunden über den Tisch zu ziehen, haben Sie ein hervorragendes Marketinginstrument zur Hand.
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