Konfliktscheu? So schädlich ist Konfliktvermeidung
Viele Menschen gehen Konflikten gerne aus dem Weg. Sie vermeiden Diskussionen und Streitigkeiten mit ihrem Partner, mit Freunden und Angehörigen. Auch Konfliktvermeidung am Arbeitsplatz ist typisch für Menschen, die konfliktscheu sind. Woher die Tendenz zur Konfliktvermeidung kommt, welche Folgen sie haben kann und was Sie tun können, um Ihre Konfliktscheu zu überwinden, erfahren Sie hier.
Konfliktscheu: Was bedeutet das?
Wenn jemand konfliktscheu ist, geht er Konflikten am liebsten aus dem Weg. Das heißt nicht, dass eine solche Person nie in Konflikte verwickelt wäre – sie vermeidet es aber, durch das eigene Handeln Konflikte heraufzubeschwören oder bestehende Konflikte offen zur Sprache zu bringen.
In Situationen, in denen Konflikte unvermeidlich sind oder bereits bestehen, tun sich konfliktscheue Menschen schwer damit, die nötigen Schritte zu gehen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein konfliktscheuer Mensch, der im Job seit langem unzufrieden ist, nicht kündigt, weil er Angst hat, dass der Chef darüber missmutig ist. Er weiß zwar, dass er früher oder später die Kündigung einreichen muss, schiebt das aber so lange wie möglich auf – trotz der Nachteile, die damit für ihn verbunden sind. Oder ein konfliktscheuer Vorgesetzter spricht einen Mitarbeiter nicht auf einen Fehler an, den dieser immer wieder macht.
Konfliktscheue Menschen wünschen sich im privaten wie im beruflichen Alltag vor allem eines: Harmonie. Nicht selten träumen sie von einer Welt, in der alle Menschen gut miteinander auskommen – ohne zu bemerken, dass diese Vorstellung vollkommen unrealistisch ist.
Welche Folgen es haben kann, wenn jemand konfliktscheu ist
Wenn jemand Konflikte vermeidet, ist das in einem gewissen Maß oft nicht weiter dramatisch. Im Zweifelsfall ist es schließlich besser, nicht gleich an die Decke zu gehen, wenn es mit anderen Menschen ein Problem gibt. Manchmal ist es sinnvoller, etwas herunterzuschlucken und sich einen Kommentar zu sparen, weil eine Reaktion den Konflikt unnötig anheizen würde. Nicht immer ist eine konstruktive Auseinandersetzung unmittelbar möglich.
Zu wissen, welche Diskussion man (im Moment) lieber nicht beginnt, ist das eine. Konflikten aus Prinzip aus dem Weg zu gehen ist hingegen oft nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für ihre Mitmenschen problematisch. Konflikte zu vermeiden ist erstens gar nicht immer möglich und birgt zweitens auch Risiken für die Betroffenen selbst. Sie müssen häufig mit Nachteilen leben, wenn sie etwas nicht zur Sprache bringen, das sie stört.
Konfliktscheu zu sein kann für verpasste Gelegenheiten sorgen. Es kann bedeuten, dass bestimmte Dinge suboptimal laufen und sich auch mittelfristig nichts daran ändert. Die anderen Menschen können schließlich keine Gedanken lesen. Konfliktscheue Menschen sind oft zu nett und können Bitten nicht ausschlagen. Wenn das Verhalten anderer für sie nachteilig ist, sprechen sie das nicht an, sind aber insgeheim oft wütend und frustriert darüber, dass sie so behandelt werden. Wer konfliktscheu ist, steckt häufig zurück, äußert die eigenen Wünsche nicht oder setzt anderen keine Grenzen. Probleme sitzen die Betroffenen aus; sie hoffen, dass sie sich von selbst lösen. Das passiert aber in vielen Fällen nicht.
Angestauter Frust kann sich in unpassenden Momenten entladen
Bleibt ein Problem über einen längeren Zeitraum bestehen, staut sich in den Betroffenen häufig eine große Wut an. Die kann sich irgendwann entladen: Nicht selten rasten konfliktscheue Menschen früher oder später regelrecht aus; sie reagieren vollkommen über und befördern damit den Konflikt, den sie ja gerade vermeiden wollten, erst recht. Die Dinge, die die Betroffenen befürchtet und wegen denen sie den Konflikt vermieden hatten, erfüllen sich dann gerade wegen der unpassenden (Über-)Reaktion. Der Konflikt kann eskalieren, die Beziehung zu dem oder den anderen Beteiligten kann leiden und das eigene Verhalten bei Dritten für Unverständnis sorgen.
Wenn der ach so nette Kollege zum Beispiel im Meeting plötzlich einen Wutausbruch hat, bekommen andere Menschen das mit. Die Kollegen und der Vorgesetzte werden eine solche Reaktion sehr wahrscheinlich negativ wahrnehmen. Dadurch macht sich der Betroffene nicht nur unbeliebt, er kann im schlimmsten Fall auch seinen Job riskieren. Außerdem steigt die Gefahr, dass andere ihrerseits aggressiv und wütend reagieren – mit der Folge, dass der Konflikt sich weiter zuspitzt.
Passiv-aggressives Verhalten als Folge der Konfliktscheu
Typisch für konfliktscheue Menschen ist außerdem passiv-aggressives Verhalten. Das kann sich in spitzen Kommentaren oder unterschwelligen Andeutungen, ironischen Bemerkungen oder betontem Schweigen äußern. Die Betroffenen reagieren kühl und unfreundlich, was andere Beteiligte womöglich bemerken, ohne zu wissen, wie es zu dieser Reaktion kommt. Auch das kann die Beziehung zu anderen belasten.
Viele konfliktscheue Menschen machen ihrem Ärger hinter dem Rücken der anderen involvierten Personen Luft. Sie lästern mit Kollegen oder Freunden und können so das Klima vergiften. Schlimmstenfalls leiden irgendwann auch Unbeteiligte an dem ungelösten Konflikt, weil das Betriebsklima sich verschlechtert. Das ist auch ein Problem für Arbeitgeber, denn unzufriedene Mitarbeiter leisten oft weniger als sie könnten.
Obwohl sie Konflikte am liebsten im Keim ersticken würden, heizen viele konfliktscheue Menschen die Situation unbewusst an. Sie machen das Problem nicht selten größer als es sein müsste. Wenn jemand nicht zur Sprache bringt, was ihn stört, wird er wahrscheinlich immer gefrusteter, wenn es immer wieder zu entsprechenden Situationen kommt. Hätte er sofort etwas gesagt, hätte die andere Person darauf reagieren können. Weil sie aber nicht weiß, dass ihr Verhalten einen anderen stört, ändert sich auch nichts – und der Unmut beim Betroffenen steigt.
Welche Ursachen Konfliktvermeidung haben kann
Manche Menschen tun sich scheinbar leicht damit, unangenehme Unterhaltungen zu führen. Andere versuchen sie so gut es geht zu vermeiden, und das oft selbst dann, wenn das große Nachteile für sie mit sich bringt. Was bestimmt darüber, ob jemand Konflikte aktiv angeht oder zur Konfliktvermeidung neigt? Wenn jemand konfliktscheu ist, ist das ein Aspekt seiner Persönlichkeit. Die Ursache dafür liegt häufig in der Kindheit.
Kinder lernen durch ihre Erfahrungen, aber auch das Verhalten der Menschen um sie herum, wie man mit Konflikten umgeht (oder auch nicht). Was es in der Kindheit für Folgen hatte, Wünsche, Erwartungen und Sichtweisen zu äußern, kann sich auch im Erwachsenenalter noch auswirken. Ob die Eltern konstruktiv oder destruktiv gestritten oder aber sich angeschwiegen haben, weil Probleme unter den Teppich gekehrt wurden, beeinflusst das Kind und den späteren Erwachsenen in seiner Konfliktfähigkeit.
Viele konfliktscheue Menschen sehnen sich mehr als andere nach Harmonie. Dass Konflikte nicht thematisiert werden, hängt oft damit zusammen, dass die Betroffenen Angst vor der Reaktion des anderen haben. Sie befürchten, weniger gemocht zu werden, dass es zu Streit oder schlechter Stimmung kommt. Auch ein geringes Selbstbewusstsein kann dabei eine Rolle spielen.
Test: Wie konfliktscheu sind Sie?
Gehören Sie zu den Menschen, die sich wünschen, es gäbe nie Konflikte – und die Konflikte lieber ignorieren, statt sie zu lösen? Ob Sie zur Konfliktvermeidung neigen, kann Ihnen der folgende Test zeigen. So geht es: Lesen Sie sich die folgenden Aussagen durch. Je mehr Aussagen auf Sie zutreffen, desto mehr spricht dafür, dass Sie ein konfliktscheuer Mensch sind:
- Wenn mich an anderen Menschen etwas stört, spreche ich das oft nicht an.
- Mein Leidensdruck muss schon sehr hoch sein, bis ich etwas zur Sprache bringe, das mich an anderen stört.
- Bei Problemen mit anderen hoffe ich, dass sie sich von selbst erledigen.
- Egal, ob im Job oder im Privatleben: Ein harmonisches Zusammenleben mit anderen ist mir sehr wichtig. Dafür schlucke ich auch schon mal Dinge herunter, die mir gegen den Strich gehen.
- Wenn andere sich immer wieder falsch verhalten, kann ich das oft nicht verstehen – die anderen müssen doch wissen, was sie mit ihrem Verhalten anrichten.
- Wenn andere mich um einen Gefallen bitten, kann ich schlecht Nein sagen.
- Wenn andere die Richtung vorgeben, passe ich mich meist an.
- Ich habe Angst, Dinge, die mich stören, anzusprechen, weil ich eine negative Reaktion der anderen Person fürchte.
- Wenn es zu einem offenen Konflikt mit anderen Personen kommt, belastet mich das sehr stark.
Konfliktfähigkeit trainieren: Tipps, mit denen Sie Ihre Konfliktscheu überwinden können
Egal, wie sehr Sie sich wünschen, es gäbe nie Konflikte: Es wird immer Situationen geben, in denen Menschen anderer Meinung sind als Sie oder sich anders verhalten als Sie es sich wünschen würden. Konflikte lassen sich nie völlig vermeiden. Konfliktscheu zu sein ist deshalb nicht hilfreich, denn die Probleme werden dann nicht gelöst. Außerdem macht es die Probleme oft noch schlimmer als sie eigentlich sein müssten. Viele konfliktscheue Menschen ertragen viel, bis das Fass irgendwann voll ist und sie eine völlig überzogene Reaktion zeigen. Das sorgt für neue Probleme mit den Mitmenschen, die durch einen anderen Umgang mit dem Konflikt vermeidbar gewesen wären.
Wer konfliktscheu ist, ist damit oft selbst unzufrieden, weil es ihm in verschiedenen Lebenslagen und Umständen Nachteile bringen kann. Es ist deshalb wichtig, zu lernen, Konflikte konstruktiv zu lösen und für sich einzustehen. Nur: Wie geht es? Wie kann man konfliktfähiger werden und die eigene Konfliktscheu überwinden?
Ändern Sie Ihre Haltung zu Konflikten
Konflikte sind immer negativ? Nicht unbedingt. Aus Konflikten können Sie lernen, und ist ein Konflikt gelöst, kann das Zusammenleben oder -arbeiten mit anderen Menschen besser sein als vorher. Konfliktvermeidung am Arbeitsplatz und im Privatleben lohnt sich schon deshalb nicht, weil Sie nicht alleine darüber entscheiden, ob ein Konflikt entsteht oder nicht. Selbst zwischen zwei konfliktscheuen Menschen kann es Probleme geben – ob sie wollen oder nicht.
Der erste Schritt hin zu einer besseren Konfliktfähigkeit ist eine veränderte Denkweise. Machen Sie sich klar, wovor Sie Angst haben, und was Sie daran hindert, Probleme offen zur Sprache zu bringen. Haben Sie Sorge, dass Sie weniger gemocht werden könnten? Dass aus dem unterschwelligen ein offener Konflikt werden könnte, der das Zusammenleben fortan dauerhaft belastet?
Überlegen Sie nicht nur, welche Folgen es haben könnte, wenn Sie ein Problem ansprechen, sondern auch, was passieren könnte, wenn Sie das nicht tun. Es hat in den meisten Fällen wesentlich schwerwiegendere Folgen, Konflikte dauerhaft zu ignorieren, als sie aus der Welt zu schaffen, auch wenn das vorübergehend unangenehm sein sollte.
Sie müssen nicht auf jedes Problem sofort reagieren. Wenn Ihr Kollege mal unfreundlich ist oder einmal den Teebeutel in der Spüle liegen lässt, ist das nicht unbedingt ein Grund, ihn sofort darauf anzusprechen. Probleme, die schon länger bestehen oder die schwerwiegende Auswirkungen auf Sie oder andere Menschen haben, sollten Sie jedoch nicht ignorieren. Suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die darauf Einfluss haben.
Probleme konstruktiv lösen: Das ist dabei wichtig
Dabei ist wichtig, dass Sie nicht zwischen Tür und Angel auf das Problem zu sprechen kommen. Warten Sie einen passenden Moment ab, in dem die andere Person Zeit und auch den Kopf hat, sich mit Ihren Ausführungen zu befassen. Dabei sollten Sie unbedingt ein Gespräch unter vier Augen führen.
Schildern Sie Ihre Sichtweise so sachlich wie möglich. Seien Sie dabei nicht angriffslustig, sondern respektvoll. Wenn Sie dazu zu aufgebracht sind, verschieben Sie das Gespräch auf einen anderen Zeitpunkt. Es kann hilfreich sein, sich klarzumachen, dass das Problem nicht die andere Person an sich ist, sondern nur ein bestimmtes Verhalten. Nehmen Sie dieses Verhalten nicht persönlich und gehen Sie nicht automatisch davon aus, dass die andere Person sich absichtlich so verhält oder Sie gar ärgern möchte.
In Konfliktgesprächen sollten Sie nicht verallgemeinern und verschiedene Probleme nicht miteinander vermengen. Nutzen Sie Ich-Botschaften, statt dem anderen Vorhaltungen über sein Fehlverhalten zu machen. Sie können sich auch im Vorfeld Lösungsvorschläge überlegen, wenn es in der jeweiligen Situation möglich ist.
Stellen Sie sich darauf ein, dass die andere Person womöglich trotzdem nicht so reagiert, wie Sie es sich erhofft hatten. Respektieren Sie, wenn Sie den anderen nicht überzeugen können. Manchmal wird man sich nicht einig – das ist dann eben so. Konfliktfähigkeit bedeutet auch, das akzeptieren zu können und trotzdem das Beste aus der Situation zu machen.
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