Empty-Desk-Syndrom: Wenn der Renteneintritt zur Belastung wird
Endlich nicht mehr arbeiten müssen? Keine Frage: Viele Neu-Rentner sind sehr froh, dass sie nicht mehr jeden Tag zur Arbeit gehen müssen. Andere empfinden die neue Freiheit weniger positiv, sondern haben das Gefühl, dass sich ihr Leben zum Schlechteren verändert hat. Das ist auch als Empty-Desk-Syndrom bekannt: den Betroffenen fehlt ihr Job. Wie sich das Empty-Desk-Syndrom anfühlen kann und was Sie dagegen tun können – hier erfahren Sie mehr.
Was ist das Empty-Desk-Syndrom?
Manche Beschäftigte träumen schon lange vor ihrem Rentenalter vom Ruhestand. Endlich mehr Zeit für all die Dinge, die man gerne machen würde, endlich selbst bestimmen, wie der Alltag aussieht. Andere Menschen hingegen sind weniger erpicht darauf, das Arbeitsleben hinter sich zu lassen. Im Gegenteil: Sie sehen der bevorstehenden Rentenzeit mit gemischten Gefühlen, vielleicht einem mulmigen Gefühl in der Magengrube oder sogar leichter Panik entgegen. Einmal im Ruhestand angekommen empfinden sie den Abschied vom Job als großen Verlust, mit dem ein Verlust von Lebensqualität einhergeht.
In solchen Fällen spricht man auch vom Empty-Desk-Syndrom. Dabei handelt es sich um einen der Anglizismen, die gar nicht dieselbe Bedeutung haben wie das englische Original. Zwar spricht man im Englischen auch von Arbeitsplätzen, die leer werden, wenn vom Empty Desk Syndrome die Rede ist. Sie werden von älteren Arbeitnehmern zurückgelassen, wenn diese in den Ruhestand gehen, und nicht mehr neu besetzt. Das kann ein Weg für Arbeitgeber sein, Kosten zu sparen.
Im deutschen Sprachgebrauch bezieht sich das Empty-Desk-Syndrom auf den (ehemaligen) Beschäftigten und nicht auf seinen (ehemaligen) Arbeitgeber. Zum Ende seines Berufslebens ist der Schreibtisch plötzlich leer. Das Leben, das so viele Jahrzehnte von Arbeit geprägt war, ist plötzlich ganz anders. Dass der Alltag auf einmal ganz offen und ungeplant ist, wird beim Empty-Desk-Syndrom nicht als Bereicherung, sondern als Belastung empfunden. Den Betroffenen fehlt ihre Aufgabe, ihr Job, es fehlen die Kontakte, mitunter auch das Ansehen bei anderen, das sich aus ihrem beruflichen Status ergeben hat. Auf einmal sind sie Rentner und werden nicht mehr gebraucht, jedenfalls nicht mehr im Job.
Anzeichen: Wie sich das Empty-Desk-Syndrom bemerkbar machen kann
Manchmal zeichnet sich das Empty-Desk-Syndrom frühzeitig ab. Die Betroffenen freuen sich dann etwa nicht auf den bevorstehenden Ruhestand, sondern sehen ihm skeptisch entgegen. Vielleicht fürchten sie sich vor dem, was kommt, oder zögern den Renteneintritt durch längeres Arbeiten bewusst hinaus. In anderen Fällen ist den Betroffenen vor dem Renteneintritt nicht bewusst, dass sie damit zu kämpfen haben werden. Dass sie nicht zufrieden sind, merken sie dann erst, wenn sie im neuen Alltag angekommen sind.
Typisch für das Empty-Desk-Syndrom ist, dass die Betroffenen als Rentner nicht glücklich sind. Sie haben zwar plötzlich viel Zeit, wissen damit aber womöglich wenig anzufangen. Oder sie sind weniger zufrieden damit, wie sie ihre Zeit verbringen, weil ihnen ihre berufliche Aufgabe fehlt, die ihrem Leben einen Sinn gegeben hat. Manche sehnen sich danach zurück, gebraucht zu werden und das Gefühl zu haben, etwas zu bewirken. So kann sich schnell Missmut breit machen, ebenso Langeweile und ein Gefühl der Leere. Die Stimmung ist entsprechend bei vielen Betroffenen schlecht; sie freuen sich nicht auf das, was vor ihnen liegt, sondern betrauern das, was sie verloren haben.
Das Empty-Desk-Syndrom kann hartnäckig sein
Nicht selten kommt es zu Konflikten mit anderen Menschen, insbesondere dem Partner. Meist verbringen etwa Ehepartner von heute auf morgen wesentlich mehr Zeit zusammen. Der Neu-Rentner redet seiner Partnerin dann etwa in Dinge hinein, aus denen er sich bisher herausgehalten hat, was Streit und schlechte Stimmung wahrscheinlicher machen kann. Es kann auch sein, dass sich die Partner durch die viele Zeit, die sie gemeinsam verbringen, schnell auf die Nerven gehen.
Der Renteneintritt ist wohl für jeden Menschen eine gravierende Veränderung. Der Alltag sieht nach vielen Jahrzehnten im Beruf plötzlich ganz anders aus – da muss man sich erstmal zurechtfinden. Das ist ganz normal und für sich genommen nicht bedenklich. Oft verfliegt das Empty-Desk-Syndrom relativ schnell, wenn sich die Rentner erstmal an die neue Situation gewöhnt haben. In anderen Fällen haben die Betroffenen hingegen längerfristig Probleme damit, ihrem Alltag eine neue Struktur zu geben, oder sind dauerhaft unzufrieden mit ihrem Leben. In diesem Fall können psychische Probleme wie Depressionen die Folge eines Empty-Desk-Syndroms sein.
Woran liegt es, dass manche Menschen den Ruhestand nicht genießen können?
Woran liegt es, dass manche Menschen sich über die Zeit nach dem Beruf freuen, während andere Rentner am liebsten wieder arbeiten würden? Entscheidend ist, wie das Leben nach dem Job aussieht. Vom Empty-Desk-Syndrom betroffen sind am ehesten Menschen, die sich Zeit ihres Lebens in ihren Job vertieft haben. Es ist kein Wunder, dass besonders Manager, ehemalige Führungskräfte und andere hochrangige Beschäftigte den Verlust des Jobs als harten Einschnitt empfinden.
Sie haben sich über viele Jahre womöglich stark mit ihrer beruflichen Position identifiziert. Vielleicht hatten sie einen Status, der ihnen den Respekt von anderen eingebracht hat – im Unternehmen und außerhalb. Wenn das wegfällt, kann eine Identitätskrise die Folge sein. Es kann auch schwierig sein, Macht und Annehmlichkeiten aufzugeben, die mit höheren Positionen verbunden sind. Auch viele Selbstständige tun sich schwer damit, ihr berufliches Dasein im Rentenalter hinter sich zu lassen.
Besonders problematisch ist oft, dass die Betroffenen sich im Job zwar stark engagiert, aber andere Dinge in ihrem Leben vernachlässigt haben. Vielleicht ist ihre Partnerschaft in die Brüche gegangen oder es gibt Probleme, die bisher verdrängt worden sind. Vielleicht sind Freundschaften während des Berufslebens in den Hintergrund getreten, weil kaum Zeit war, die Freunde auch tatsächlich zu sehen. Auch Hobbys hatten neben einem arbeitsintensiven Job womöglich keinen Platz. Fehlt nun die Arbeit, ist da nichts, was die freie Zeit adäquat füllen könnte. Es gibt schlimmstenfalls keinen Partner, keine Freunde und keine Hobbys, mit denen man den neuen Alltag zufriedenstellend strukturieren könnte.
Erschwerend hinzu kann das Gefühl kommen, plötzlich alt zu sein. Viele Menschen verstehen sich auch in höherem Alter nicht als „Senioren“ und möchten auch nicht von anderen als solche gesehen werden. Im Rentenalter aber wird einem dann schlagartig bewusst, dass man eben doch nicht mehr so jung ist, wie man gerne wäre. Das kann für sich genommen in eine Krise führen und das Gefühl auslösen, das Leben sei jetzt eigentlich schon fast vorbei.
Tipps, mit denen Sie dem Empty-Desk-Syndrom begegnen können
Der Übergang vom Berufsleben ins Rentnerdasein ist wahrscheinlich für die wenigsten Menschen ganz einfach. Selbst wenn der Abschied vom Job als positiv empfunden wird, erfordert der neue Alltag als Rentner doch eine gewisse Umgewöhnung, bei der vieles auf dem Prüfstand stehen kann. Umso wichtiger ist es, Strategien zu entwickeln, um ein Empty-Desk-Syndrom zu verhindern oder zumindest abzumildern. Die folgenden Tipps können Ihnen dabei helfen.
Sich vorher überlegen, wie die Zeit als Rentner aussehen könnte
Am besten ist es, wenn Sie sich schon im Vorfeld damit auseinandersetzen, wie der neue Lebensabschnitt aussehen könnte. Wie können Sie Ihren Alltag füllen, wenn der Job wegfällt? Was können Sie tun, um negativen Gefühlen, die mit dem Eintritt ins Rentnerdasein verbunden sein können, zu begegnen? Sprechen Sie darüber auch mit Ihrem Partner, Ihrer Familie oder Freunden. Wenn Sie Gesprächsbedarf haben, können Sie sich auch an eine Beratungsstelle wenden. Je eher Sie eine klare Vorstellung davon haben, was Sie im Ruhestand machen, desto geringer ist die Gefahr, dass Sie als Neu-Rentner in ein Loch fallen.
Dem Alltag wieder eine Struktur geben
Für die meisten Menschen bedeutet der Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand vor allem eines: einen Alltag, der nicht mehr vom Job dominiert wird, sondern der auf einmal frei gestaltet werden kann. Wenn 40 Stunden und mehr wegfallen, die Sie ansonsten im Büro oder Betrieb verbracht haben, haben Sie ganz viel freie Zeit. Die will gestaltet werden. Vielen Menschen hilft es, wenn ihr Alltag eine feste Struktur hat. Wie Sie diese Struktur schaffen, ist Ihnen überlassen.
Vielleicht haben Sie einen Freund, mit dem Sie sich einmal in der Woche zum Kartenspielen treffen möchten. Vielleicht möchten Sie an einem anderen Tag der Woche ins Schwimmbad oder in die Sauna gehen. Oder Sie haben einen Enkel, den Sie an zwei Tagen die Woche betreuen. Egal, was es ist – entwerfen Sie ruhig so etwas wie einen Stundenplan. So können Sie sich schnell an Ihren neuen Alltag gewöhnen und müssen sich nicht darüber sorgen, wie Sie all die freie Zeit bloß füllen sollen.
Eine neue Aufgabe suchen
Vielen Neu-Rentnern fehlt die Aufgabe, die der Job mit sich gebracht hat. Dieses Problem lässt sich lösen, indem Sie sich eine neue Aufgabe suchen. Das kann vieles sein: Vielleicht haben Sie Enkel, für die Sie jetzt viel mehr Zeit haben. Vielleicht ist es ein Hobby, das bislang immer vernachlässigt wurde. Vielleicht ist es auch ein Ehrenamt, in dem Sie aufgehen. Wenn Ihnen spontan nichts einfällt, überlegen Sie, was zu Ihnen passen könnte, und probieren Sie einfach neue Dinge aus.
Neue Hobbys entwickeln
Ihr Alltag als Rentner soll Ihnen Spaß machen. Dafür sind spannende Hobbys die beste Lösung. Falls Sie bislang keine Hobbys haben, suchen Sie sich etwas, das Ihnen Freude macht. Gibt es etwas, das Sie schon immer mal ausprobieren wollten? Oder das Sie früher gemacht haben, bis es irgendwann in Vergessenheit geraten ist? Jetzt ist die Zeit, sich wieder mit solchen Dingen zu befassen. Sie können auch einen Kurs belegen, wo Sie ganz nebenbei auch neue Kontakte knüpfen können.
Neue Kontakte knüpfen
Im Ruhestand fallen die beruflichen Kontakte meist früher oder später komplett weg. Natürlich mag es den einen oder anderen Kollegen geben, mit dem Sie noch Kontakt halten. Für soziale Kontakte haben aber auch die vielen Bekanntschaften in Ihrem Job gesorgt – keine Freundschaften, aber doch Menschen, die das Leben bereichert haben. Falls es Ihnen an sozialen Kontakten mangelt, zögern Sie nicht, ganz bewusst neue Menschen kennenzulernen. Das geht wie schon erwähnt zum Beispiel, indem Sie Kurse besuchen. Sie können auch an Seniorentreffs teilnehmen oder im Rahmen eines Hobbys nette Menschen kennenlernen.
Einen Nebenjob suchen
Im Ruhestand zu sein muss nicht bedeuten, gar nicht mehr zu arbeiten. Wenn Sie Lust auf einen Nebenjob haben, suchen Sie sich doch einfach einen. Das kann ein Ehrenamt oder ein bezahlter Job sein. Sie könnten zum Beispiel überlegen, ob Sie Ihr Wissen als Dozent weitergeben könnten. Fahren Sie Kinder mit einer Behinderung zur Schule, helfen Sie im Tierheim aus oder unterstützen Sie die Tafel tatkräftig – die Möglichkeiten sind vielfältig.
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